Im Oktober stürzte Jan Klippel zehn Meter tief vom First eines Hauses. Nach Koma, Intensivstation und zahllosen Operationen übt er nun, seinen Körper wieder zu bewegen. Zur Seite steht ihm ein Expertenteam

WAZ-SERIE: LEBENSRETTER (6. UND LETZTER TEIL)Arbeitshandschuhe trägt die Ergotherapeutin Ina Schwarze. Keine dünnen Plastikhäute wie Ärzte sie überstreifen, sondern dicke, graue. Durch das Leder geschützt, reicht sie rote Dachpfannen an ihren Patienten Jan Klippel weiter. Der steht auf einem halb eingedeckten Dach, nimmt die tönernen Platte routiniert entgegen, um sie zielsicher auf den Dachlatten zu positionieren. "Gut machst Du das", lobt die Therapeutin den Dachdecker.

Ein kleines Wunder ist es, das Klippel wieder auf einem Dach stehen kann. Überhaupt stehen kann. Noch lebt. Denn am 23. Oktober vergangenen Jahres - ein Montag war es - stürzte der zweifache Familienvater vom First eines Einfamilienhauses im märkischen Drüpplingsen. Zehn Meter tief. Links stand der Wagen des Zimmermanns, rechts führte eine Steintreppe ins Souterrain. Klippel landete auf dem halben Meter Kopfsteinpflaster dazwischen. Als seine Frau davon erfuhr, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch.

"Ich war auf dem Dach, um eine Gaube abzupappen", sagt der 28-Jährige. Dass er das Gleichgewicht verlor, ist das letzte, woran er sich erinnert. Als er Tage später wieder aus dem künstlichen Koma erwachte, war er vom Unfallort über das Iserlohner Krankenhaus in eine Klinik nach Bochum gereist. Spürte dank Schmerzmitteln nichts. Hatte aber gebrochen sein Becken, zwei Lenden- und ein Brustwirbel sowie die Kapsel seines Ellenbogens. Und den Fuß.

Der schmerzt ihn noch immer, obwohl die zwei Platten, sechs Stifte und zehn Schrauben, die ihn zusammenhielten, mittlerweile bei Klippel zu Hause liegen. Eine lange Narbe erinnert an die OP. "Noch Monate später war ich unbeweglich wie ein 80-Jähriger", klagt das Unfallopfer. Doch dank der Reha besteht nun Aussicht wieder aufs Dach zurückzukehren. Dahinter steckt ein Monat täglicher harter Arbeit am Trümmerkörper.

Doch neben dem Fuß schmerzt auch trotz Infiltrationsbehandlung der Rücken noch ab und an. Also bleibt Klippel noch zwei Wochen länger in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik. Und absolviert sein fünfstündiges Tagespensum: Früh zur Vollbelastungsgruppe und zum Sportschwimmen, dann Physikalische- und Ergotherapie, schließlich Senso-motorische Gruppe und Rückentraining.

Klippels Physiotherapeutin ist zufrieden mit ihrem Patienten. "Er ist hoch motiviert und arbeitet sehr gut mit", sagt Susanne Pusch während sie per Gabelgriff das Dorsalgleiten des Talusknochen zu optimieren sucht. Auch Klippels Rücken kommt in den Genuss der Manualtherapie. Die Querfortsätze der Wirbelkörper müssen in ihrer Beweglichkeit verbessert werden. Federnden Druck übt Susanne Pusch auf die Partie aus. "Springing" heißt die Übung.

Für den Patienten geht es weiter an die Kraftmaschinen. "Werner, mach das ordentlich", ruft Klippel einem Reha-Kollegen zu - über lange Wochen lernt man sich kennen- und lässt sich auf dem Hüftstrecker nieder. "Nachdem ich mich die ersten zwei Wochen gar nicht bewegen konnte, dachte ich: Jetzt kommt der Rollstuhl - und Ende." Dass er bald beim therapeutischen Klettern in 30 Metern Höhe unterwegs sein wird, hätte er damals nie für möglich gehalten. Nun hofft er, keine Höhenangst entwickelt zu haben.

Auf dem von Patienten erbauten ergotherapeutischen Übungsdach bewegt er sich jedenfalls sehr behände. Tritt seitwärts auf die Sparren, um die imaginäre Folie dazwischen zu schützen. Ina Schwarze streift die schweren Arbeitshandschuhe ab und reicht ihm eine 25 Kilo schwere Bleirolle. "Kraftmaschinen sind das eine, aber hier zeigt sich, ob der Patient unter Realbedingungen funktioniert."

Klippel stemmt die Rolle sichtlich stolz das Dach hoch. Und sagt: "Nach so einem Sturz sieht man die Dinge anders." Aktionen unter dem Motto "Machen wir mal eben ohne Sicherung" - die gebe es nun nicht mehr. Auf sein Glück möchte sich Jan Klippel nicht noch einmal verlassen."Anfangs dachte ich, jetzt kommt nur noch Rollstuhl und Ende"