Über vier Jahre wurde der Sohn von Kathrin L. sexuell missbraucht, gestern wurde der Täter verurteilt.Mit der WAZ sprach die Mutter des Opfers über Schuldgefühle und verlorenes Vertrauen

Hilfe für sexuell missbrauchte Kinder bietet zum Beispiel der Kinderschutzbund an. Foto: WAZ-Archiv, Dirk Bauer
Hilfe für sexuell missbrauchte Kinder bietet zum Beispiel der Kinderschutzbund an. Foto: WAZ-Archiv, Dirk Bauer © WAZ

ALBTRAUM KINDESMISSBRAUCH Es ist der Albtraum jeder Mutter und jeden Vaters: dass ihrem Kind etwas zustößt, dass es einen Unfall hat oder sogar einem Verbrechen zum Opfer fällt. Kathrin L. (alle Namen von der Red. geändert) hat es erlebt: Ihr Sohn wurde über Jahre von einem erwachsenen Mann sexuell missbraucht. "Ich habe es nicht gemerkt", wirft sie sich heute vor.

Die Geschichte beginnt in der Schule. Sohn Markus geht in die zweite Klasse und freundet sich mit Tobias an, einem Jungen aus der ersten. Durch die gemeinsame Nachmittagsbetreuung der Kinder lernt die alleinerziehende Mutter auch Tobias' Vater kennen. Die Jungen wollen gern zusammen ins Schwimmbad, Kathrin L. erlaubt es. "Die waren dann jeden Mittwoch schwimmen und der Vater hat meinen Sohn abends nach Hause gefahren."

Bedenken hat die Mutter nicht, sie hat ihn schließlich als einen netten Mann kennengelernt. Die Jungs verbringen immer mehr Zeit miteinander, auch der Vater wächst dem zehnjährigen Markus ans Herz. "Bald hat er vom Ersatzpapa gesprochen", erinnert sich Kathrin L. Vom leiblichen Vater hat sie sich schon Jahre vorher getrennt, Kontakt findet eher selten statt. "Aber jetzt war alles wunderbar."

Bis zu dem Tag, an dem Tobias' Mutter anruft. Sie habe "Sachen" bei ihrem Mann entdeckt, sagt sie, er sei pädophil. Kathrin L. nimmt ihr das nicht ab. "Die haben sich gerade getrennt. Sie macht das nur aus Eifersucht", denkt sie. Und glaubt Tobias' Vater, als er alles abstreitet.

"Es ist eine super Freundschaft entstanden", blickt die heute 40-Jährige zurück. "Wir haben alles zusammen gemacht, sind in den Urlaub gefahren, haben gemeinsam unterm Tannenbaum gesessen." Vier Jahre ist die Welt in Ordnung.

Dann, im Sommer 2007, klingelt das Telefon. Kathrin L. hebt ab. "Uns liegt eine Anzeige vor" sagt ein Polizist, "wegen Kindesmissbrauchs." Ein betroffenes Mädchen hat sich ihrer Mutter offenbart. Über Kathrin L. bricht die Welt zusammen. "Warum hast du nichts gemerkt", fragt sie sich immer wieder. Es kommt heraus, dass der 51-Jährige den Jungen über Jahre missbraucht hat. Dass er, anders als bei den übrigen Kindern, eine richtige Beziehung zu ihm aufgebaut hat.

"Er hat sich die Liebe meines Kindes erschlichen", sagt Kathrin L. "Mit seiner charmanten Art hat er alle eingelullt." Man merkt, Kathrin L. könnte schreien vor Wut. Gleichzeitig ist sie unglaublich traurig. Nie wieder wird sie jemandem so blind vertrauen.

Markus besucht heute eine Therapie. Mit seiner Mutter aber will er nicht über die Ereignisse reden. "Er weiß gar nicht, dass das Missbrauch war", vermutet Kathrin L. Für sie heißt es nun, das Leben mit dem Sohn wieder in den Griff zu bekommen und ein neues Vertrauensverhältnis zu ihm aufzubauen.