In 680 Metern Tiefe lernt man eine andere Welt kennen. Nur noch wenige Besucher haben das Glück dazu:Am 30. Juni wird der Pütt geschlossen. Eine erste (und vielleicht auch letzte) Reise unter Tage

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© WAZ Duisburg

WAZ-SERIE SCHICHT AM SCHACHT (5) Schwarz ist es, finster bis auf die Kopflampen, die den Insassen des Förderkorbs noch locker um den Hals hängen. Von der Decke baumeln schwere Metallketten. Wozu die dienen, frage ich besser nicht. Lange dauert die Fahrt nicht, mit 43 km/h braust der Korb nach unten. 680 Meter tief liegt die dritte Sohle, hier halten wir.

Gelegenheit zu einer Reise unter Tage haben nicht mehr viele. Die Tage für die Zeche in Walsum und Voerde sind gezählt: Am 30. Juni ist endgültig "Schicht am Schacht". Ich gehöre also zu den wenigen Glücklichen, die die Unterwelt noch zu Gesicht bekommen - und in die typische Bergarbeiterkleidung schlüpfen dürfen. Dazu gehören graue Feinrippunterwäsche, ein blau-weiß gestreiftes Hemd, eine helle Jacke, Halstuch, Arbeitssocken, Stiefel mit Stahlkappen und Schienbeinschützer. Und natürlich eine Hose: Die ist so weit, dass ich sie vorne zusammenrollen und mit einem Gürtel festzurren muss. "Sie ziehen alles an, was ich Ihnen gebe", hatte mein Begleiter Peter Lesage gesagt, und das habe ich getan.

Doch zur Ausrüstung gehört noch mehr. Ohne einen weiteren Gürtel darf niemand den Weg nach unten antreten. Ein CO-Filter hängt daran und die besagte Lampe. Puh, ganz schön schwer das Ganze. Noch Schutzbrille und Helm aufsetzen - fertig. Mein Kopfschutz ist übrigens rot. Achtung: ein Neuling, scheint er zu signalisieren.

Unten angekommen (nachdem der Ohrendruck nachgelassen hat) öffnen sich die Tore des Förderkorbs. Wie es wohl dahinter aussehen mag? Wie eine große Halle hatte ich mir das vorgestellt. Klein und eng - das war früher, habe ich mir sagen lassen. Und tatsächlich: die Decke ist vielleicht sechs Meter hoch, es sieht aus wie in einer fensterlosen Lagerhalle. Plötzlich ein lautes Klingeln, ich zucke zusammen. Da kommt wirklich eine Bahn angefahren, die an Schienen an der Decke hängt.

Windig ist es. Halt, der Ausdruck ist falsch, korrigiert Peter Schmidtke. Er ist der Reviersteiger und weiß, wovon er spricht. Ach ja, es heißt "Wetter" in der Bergmannssprache. Peter Schmidtke scheint alles über die unterirdische Stadt zu wissen, nennt Zahlen, Daten, Fakten - und erzählt kleine Anekdoten. Auf die Frage nach Frauen unter Tage weiß er von einem grummeligen Bergmann zu berichten, der nicht viel Wert auf sein Äußeres legte, bis er eines Tages von zwei Praktikantinnen begleitet wurde. Plötzlich sei er stets rasiert bei der Arbeit erschienen und ausgesprochen höflich mit seinen Kollegen umgegangen.

Frauen trifft man eben unter der Erde nur selten. "Na dann zeigt mal der Dame, wie schön ihr Band fahren könnt", ruft einer der Männer, die uns entgegen kommen, verschwitzt und mit schwarzem Gesicht. Geübt, ja beinahe anmutig, werfen sie ihre Körper auf das sich schnell bewegende Förderband - ihre Schicht ist zu Ende, in wenigen Minuten hat sie das Tageslicht wieder. Besucher dürfen dieses Beförderungsmittel nicht nutzen: zu gefährlich.

"'Auf" sagen die meisten, die wir treffen, einige lassen sich das volle "Glückauf" nicht nehmen. Bergmechaniker (zu erkennen an den gelben Helmen) und Elektriker (die tragen blaue Helme) sind mit der Herrichtung des Strebes beschäftigt. Noch wird hier keine Kohle abgebaut, doch demnächst sollen rund 5000 Tonnen pro Tag gefördert werden. An der Wand hängen Beutel mit Proviant, die Pause versüßen sich die meisten auch mit Schnupftabak. "Wie ist das Wetter?" werden die gefragt, die ihre Schicht beginnen. "Eh scheiße" lautet die tröstende Antwort, schnell wird noch ein Witz gemacht und die Arbeit geht weiter.

Nach vier Stunden und über drei Kilometern Fußmarsch durch die Unterwelt habe ich viel gelernt, weiß über Strecken und Strebe Bescheid und habe sogar Heimchen zirpen gehört. Nur eines habe ich nicht gesehen: gelöste Kohle.