Manfred Kleinrahm erzählte Schülern der Grillo-Gesamtschule von seinen Erlebnissen während des Kriegs. Als er zum Luftwaffenhelfer einberufen wurde, war er so alt wie die Schüler heute
AUGENZEUGEN IM SCHULUNTERRICHT Das Rad der Geschichte kann niemand zurückdrehen. Aber Zeitzeugen sind mehr als Geschichtsbücher in der Lage, Geschichte erlebbar zu machen. So geschehen gestern um 10 Uhr in der 7c der Herbert-Grillo-Gesamtschule in Marxloh. Lehrerin Brigitte Hillebrand hatte im Rahmen der WAZ-Aktion "Zeitzeugen" die Möglichkeit genutzt und Manfred Kleinrahm eingeladen, der von seiner Jugend als Flak-Helfer im Krieg erzählte.
Und er erzählte sie hautnah. Denn einige Orte, von denen er sprach, kennen die Kinder. Manche liegen auf ihrem Schulweg, von anderen haben sie gehört. Schnell hatte sich die Aufregung über den Besuch des 80-Jährigen gelegt. Einige hörten so konzentriert seinen Schilderungen zu, dass sie nach zwei Stunden regelrecht erschöpft waren.
Sie müssen jetzt erst einmal verarbeiten, was Manfred Kleinrahm von einer Zeit erzählte, als er so alt war wie sie heute sind. Von den ersten Bombenangriffen auf Duisburg, von den nächtlichen Aufenthalten im Luftschutzbunker, von der Kinderlandverschickung in einen Ort in der Nähe von Prag, wo es noch Sachen zu kaufen gab, die es in Hamborn längst nicht mehr zu bekommen gab.
Sie bekamen Antworten auf ihre Fragen. "Hatten Sie Angst?", fragte eine Schülerin. "Anfangs hatte ich nur Schiss. Aber später, als die Amerikaner von Orsoy aus schossen und wir acht Stunden lang in unserem kleinen Bunker unter Beschuss waren - ja, da hatte ich wirklich Angst."
Manfred Kleinrahm erzählt von einem Volltreffer auf den Bunker am Johannismarkt, ganz in der Nähe. Erst eine kurze Debatte unter den Schülern, wo der genau liegt. Als der weißhaarige Mann vor ihnen jedoch davon erzählt, dass man 50 Tote in dem Bunker fand, wird es wieder still. In den Köpfen der Schülerinnen und Schüler arbeitet es. Geschehnisse, die über 60 Jahre zurückliegen, rücken nah an sie heran.
"Als ich Weihnachten 1943 nach Hause kam, war mein ,Geschenk' die Einberufung als Luftwaffenhelfer." Wenige Tage später wurde Manfred Kleinrahm 16 Jahre alt. In seinen Schilderungen beschönigt er nichts. "Nach all den Bombenangriffen hatten wir Wut auf die Flugzeuge und den Gedanken ,Jetzt können wir uns wehren!'" Dass hinter der Einberufung der Jugendlichen Hitlers Generäle standen, die mehr Soldaten an die Front schicken wollten, weiß Kleinrahm heute: "Für 100 Helfer konnten sie 70 Kanoniere an die Front schicken." Geld sollten sie bekommen, 50 Pfennig am Tag. "Davon haben wir nie etwas gesehen."
Der 80-jährige Sohn eines Bäckers aus Hamborn erinnert auch an seine Schulzeit. An prügelnde Lehrer, Kommandoton und Komissbrot. Die Tage der Machtergreifung hat er nicht bewusst erlebt, dennoch beantwortet er die Fragen der Schüler u.a. zu den Arbeitslosenzahlen ("Sie gingen tatsächlich zurück. Aber man darf den Arbeitsdienst nicht vergessen.") Großen Respekt habe er vor Leuten, die halfen, jüdische Nachbarn zu verstecken. "Wer nicht registriert war, bekam keine Lebensmittelkarten. Also musste man teilen, was man hatte." In Hamborn habe es nur wenige jüdische Familien gegeben, weshalb er selbst keine jüdischen Freunde hatte. Glück habe er gehabt: Dass er überlebte, als eine Granate in der Flak explodierte, während sein Gegenüber tot war. Und dass niemand etwas in seinen Wehrpass eingetragen hatte, was ihm die Gefangenschaft eingebracht hätte, denn dann wäre er Soldat gewesen.