Duisburg/Essen. . Nach dem Putschversuch in der Türkei sind in der Nacht 3000 Duisburger mit türkischen Wurzeln auf die Straße gegangen. In Essen protestierten 5000. Auch in anderen Städten kam es zu spontanen Versammlungen.

Nach dem Putschversuch in der Türkei am späten Freitagabend sind in der Nacht auf Samstag sind in Duisburg tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Militäraktion zu demonstrieren. In der Spitze versammelten sich laut Polizei um 2 Uhr etwa 3000 Bürger mit türkischen Wurzeln auf dem Hamborner Altmarkt, um ein Zeichen der Solidarität mit der Regierung um Ministerpräsident Erdogan zu setzen. Sie alle einte die Sorge um die Zukunft ihres Herkunftslandes, aber noch mehr die Angst um das Schicksal von Freunden und Verwandten, die in Istanbul oder Ankara leben.

Auch in Essen kam es zu einer spontanen Demonstration: Etwa 5000 Menschen versammelten sich vor dem Konsulat, so die Essener Polizei. Die Schönheidtstraße wurde zeitweise gesperrt, die Polizei erhielt vorsichtshalber Unterstützung von Beamten der Hundertschaften Bochum und Bonn. Alles blieb friedlich, sagten die Beamten am Samstagmorgen im Gespräch mit unserer Redaktion. Nach 3 Uhr löste sich die Demonstration langsam auf. Weitere Spontan-Demos gab es unter anderem in Bochum und Gelsenkirchen. Insgesamt hätten sich landesweit etwa 15.000 Menschen beteiligt.

Erdogan-Anhänger beschädigen türkischen Jugendtreff

In Gelsenkirchen kam es am Samstagmorgen gegen 10.30 Uhr zu einer weiteren Versammlung. Die verlief nicht so glimpflich wie die Spontandemo in der Nacht zuvor, erklärte die Polizei auf Anfrage. Schauplatz war ein türkischer Jugendtreff an der Polsumer Straße in Gelsenkirchen-Hassel. Bis zu 150 Erdogan-Anhänger versammelten sich vor dem Gebäude – der Jugendtreff selbst stehe der Gülen-Bewegung nahe, so die Polizei. Die Demonstranten warfen zwei Fensterscheiben des Lokals mit Pflastersteinen ein. Menschen wurden nicht verletzt.

Auslöser des Zorns waren offenbar die beiden Schilder, die auf den Jugendtreff hinweisen: Der Treff-Name "Harmonie" stand auf dem einen, "Jugendtreff Hassel e.V." auf dem anderen Schild, erklärte die Polizei am Abend. Erst, als der Betreiber beide Schilder abgehängt hatte, beruhigte sich die Menge. Die Gelsenkirchener Polizei war mit einen Großaufgebot vor Ort. Erst gegen 16 Uhr war der Einsatz beendet.

Handynetze bei spontanen Abend-Demos überlastet

„Wir versuchen schon seit Stunden, unsere Angehörigen zu erreichen. Aber die Handynetze sind überlastet und zusammengebrochen“, erzählt Yunus Yilmaz bei der Duisburger Versammlung. Er ist mit seinen Freunden Mikail Oflaz und Osman Baylas mit dem Auto aus Rheinhausen-Mitte nach Alt-Hamborn gefahren, um sich der Spontandemonstration anzuschließen. „Ich habe den Freitag noch in Ankara verbracht und bin erst gegen 17 Uhr von dort wieder zurück nach Deutschland geflogen. Zu diesem Zeitpunkt war dort noch alles in Ordnung“, berichtet Mikail Oflaz. „Im Augenblick kommt da keiner raus und rein. Es sind alle Flüge abgesagt worden“, hat er erfahren. „Ich bin froh, dass ich noch weggekommen bin.“

Rund 3000 Bürger versammelten sich in der Nacht auf Samstag gegen 2 Uhr auf dem Hamborner Altmarkt.
Rund 3000 Bürger versammelten sich in der Nacht auf Samstag gegen 2 Uhr auf dem Hamborner Altmarkt. © FUNKE Foto Services

Nachdem die ersten Nachrichten vom Putschversuch durchgesickert waren, versammelten sich spontan rund 500 Menschen an der Merkez-Moschee in Marxloh. Viele von ihnen trugen türkische Nationalflaggen sowie Schals oder Fußballtrikots in den rot-weißen Nationalfarben. Von dort zog die immer größer werdende Gruppe zu Fuß über die Weseler Straße (B 8), die Duisburger Straße und die Rathausstraße zum Hamborner Altmarkt. Dort drückten die rund 3000 Bürger ihren Protest mit Sprechchören in türkischer Sprache aus. „Wir haben gerufen: Gott soll auf unser Land und die Menschen dort aufpassen“, übersetzte Yunus Yilmaz.

Großaufgebot der Polizei sicherte den Demonstrationsweg ab

Nach etwa 20 Minuten ging die Gruppe denselben Weg von Alt-Hamborn nach Marxloh zurück. Ein Großaufgebot der Polizei hatte den Marktplatz, aber auch den Laufweg der Menschenmasse über die Hauptverkehrsstraßen abgesichert. Ein hupendes Autokorso fuhr im Schleichtempo hinter der laufenden Gruppe her.

Viele der Duisburger Demonstrationsteilnehmer machten sich Sorgen um das Schicksal von Familienangehörigen und Freunden, die in Istanbul oder Ankara leben.
Viele der Duisburger Demonstrationsteilnehmer machten sich Sorgen um das Schicksal von Familienangehörigen und Freunden, die in Istanbul oder Ankara leben. © FUNKE Foto Services

„Wenn der Putsch Erfolg hat, dann wird unser Land um 100 Jahre zurückgeworfen“, sagte Bekir Sipahi, nachdem der Demonstrationszug wieder seinen Ausgangspunkt an der Merkez-Moschee erreicht hatte. Sipahi ist seit den 90er Jahren Mitglied des Duisburger Integrationsrates. Auf der Rückseite seines weißen Pullovers prangte in großen, roten Buchstaben der Name des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. „Ich mache mir große Sorgen. Es geht hier um mein Land. Da muss man jetzt zusammen etwas tun“, sagte eine Frau. Neben ihr stand Isa Al. Er lebt seit 42 Jahren in Duisburg, genauer gesagt: im Stadtteil Fahrn. Auch Al ist spürbar aufgeregt: „Als ich vom Putsch gehört habe, wollte ich sofort raus auf die Straße – und so wie mir ist es ganz vielen ergangen“, sagte er und fügte mit einer gehörigen Portion Wut in der Stimme hinzu: „Es kann doch nicht sein, dass das Militär die Waffen gegen sein eigenes Volk richtet. So geht das nicht. Wir leben schließlich nicht mehr in der Steinzeit.“

Die Polizei bestätigte auf WAZ-Anfrage, dass es keinerlei Ausschreitungen oder andere Vorfälle gab. Mit Ausnahme des nächtlichen Hupkonzertes im Autokorso sei diese spontane Demo in Duisburg sehr ruhig abgelaufen, so ein Beamter.

Gegen 3.30 Uhr entschieden sich noch zahlreiche Demonstrationsteilnehmer, mit dem Auto von Duisburg zum türkischen Konsulat nach Düsseldorf zu fahren. Dort sollte der Protest gegen den Putschversuch weitergehen.

Demo gegen Putschversuch in der Türkei

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Putschversuch in der Türkei beendet

Der Putschversuch in der Türkei ist nach Angaben der Regierung beendet. Präsident Erdogan zeigt sich in Istanbul seinen Unterstützern.
Der Putschversuch in der Türkei ist nach Angaben der Regierung beendet. Präsident Erdogan zeigt sich in Istanbul seinen Unterstützern. © REUTERS
Die türkische Regierung hat wieder die Kontrolle übernommen. Nur in der Nähe des Präsidentenpalastes in Ankara gebe es aber noch Probleme, so Erdogan.
Die türkische Regierung hat wieder die Kontrolle übernommen. Nur in der Nähe des Präsidentenpalastes in Ankara gebe es aber noch Probleme, so Erdogan. © REUTERS
Noch sind die Kämpfe nicht vorüber. In der Nacht waren in den Straßen von Ankara und der Metropole Istanbul Panzer aufgefahren. Schüsse wurden abgegeben.
Noch sind die Kämpfe nicht vorüber. In der Nacht waren in den Straßen von Ankara und der Metropole Istanbul Panzer aufgefahren. Schüsse wurden abgegeben. © REUTERS
Am Samstagmorgen klettern Menschen auf Panzer und schwenken Türkei-Flaggen.
Am Samstagmorgen klettern Menschen auf Panzer und schwenken Türkei-Flaggen. © Getty Images
In Istanbul wurden an der Bosporus-Brücke Wasserwerfer eingesetzt, ...
In Istanbul wurden an der Bosporus-Brücke Wasserwerfer eingesetzt, ... © REUTERS
... um gegen die Putschisten vorzugehen.
... um gegen die Putschisten vorzugehen. © Getty Images
Später prügelten Menschen auf die Putschisten ein. Soldaten versuchen, sich vor dem Mob in einen Bus zu retten.
Später prügelten Menschen auf die Putschisten ein. Soldaten versuchen, sich vor dem Mob in einen Bus zu retten. © REUTERS
Die Soldaten, die in den Putsch verwickelt waren und festgenommen wurden, mussten Klamotten und Waffen auf den Boden legen.
Die Soldaten, die in den Putsch verwickelt waren und festgenommen wurden, mussten Klamotten und Waffen auf den Boden legen. © Getty Images
In Istanbul trauten sich am Morgen die Menschen wieder auf die Straße.
In Istanbul trauten sich am Morgen die Menschen wieder auf die Straße. © dpa
Auf der Bosporus-Brücke in Istanbul versammelten sich unzählige Menschen.
Auf der Bosporus-Brücke in Istanbul versammelten sich unzählige Menschen. © Getty Images
Einige machten vor den Panzern Selfies, ...
Einige machten vor den Panzern Selfies, ... © REUTERS
... andere kletterten auf die zurückgelassenen Militärfahrzeuge.
... andere kletterten auf die zurückgelassenen Militärfahrzeuge. © Getty Images
Das Parlamentsgebäude in Ankara wurde bei den Ausschreitungen teilweise zerstört.
Das Parlamentsgebäude in Ankara wurde bei den Ausschreitungen teilweise zerstört. © dpa
Fotos zeigen Trümmer, zerborstene Scheiben und Schäden am Mauerwerk.
Fotos zeigen Trümmer, zerborstene Scheiben und Schäden am Mauerwerk. © REUTERS
Die Putschisten hatten eine Bombe im türkischen Parlament gezündet.
Die Putschisten hatten eine Bombe im türkischen Parlament gezündet. © imago/Depo Photos
Nicht nur Anhänger Erdogans, sondern auch breite Teile der Bevölkerung stellten sich in der Nacht gegen die Putschisten.
Nicht nur Anhänger Erdogans, sondern auch breite Teile der Bevölkerung stellten sich in der Nacht gegen die Putschisten. © REUTERS
Die Panzer schmückten sie mit Bildern von Erdogan.
Die Panzer schmückten sie mit Bildern von Erdogan. © REUTERS
Am Taksim-Platz in Istanbul wurde eine große Türkei-Flagge ausgebreitet.
Am Taksim-Platz in Istanbul wurde eine große Türkei-Flagge ausgebreitet. © dpa
Zuvor war der Platz noch bewacht worden.
Zuvor war der Platz noch bewacht worden. © REUTERS
Freitagabend hatten Teil des türkischen Militärs einen Putschversuch unternommen.
Freitagabend hatten Teil des türkischen Militärs einen Putschversuch unternommen. © REUTERS
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte dem Sender NTV am Freitagabend, die Sicherheitskräfte täten alles Notwendige, um die Situation zu entschärfen.
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte dem Sender NTV am Freitagabend, die Sicherheitskräfte täten alles Notwendige, um die Situation zu entschärfen. © REUTERS
Soldaten hatten beide Bosporus-Brücken in Istanbul abgesperrt.
Soldaten hatten beide Bosporus-Brücken in Istanbul abgesperrt. © Getty Images
Die Brücken verbinden die asiatische mit der europäischen Seite der Türkei.
Die Brücken verbinden die asiatische mit der europäischen Seite der Türkei. © Getty Images
Der türkische Präsident Erdogan rief über FaceTime am Freitagabend das Volk dazu auf „sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln“.
Der türkische Präsident Erdogan rief über FaceTime am Freitagabend das Volk dazu auf „sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln“. © Getty Images
Der Putschversuch in der Türkei ging nach Darstellung von Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer Minderheit in der Armee aus.
Der Putschversuch in der Türkei ging nach Darstellung von Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer Minderheit in der Armee aus. © REUTERS
Die Putschisten hatten eine Ausgangssperre im ganzen Land verhängt.
Die Putschisten hatten eine Ausgangssperre im ganzen Land verhängt. © REUTERS
Auf den Straßen in Istanbul waren Panzer zu sehen, ...
Auf den Straßen in Istanbul waren Panzer zu sehen, ... © REUTERS
... die von Protestanten erklommen wurden.
... die von Protestanten erklommen wurden. © REUTERS
Auch in Ankara waren Panzer unterwegs.
Auch in Ankara waren Panzer unterwegs. © Getty Images
Ein Mann versuchte mit allen Mitteln, einen Panzer am Atatürk-Flughafen zu stoppen.
Ein Mann versuchte mit allen Mitteln, einen Panzer am Atatürk-Flughafen zu stoppen. © REUTERS
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