Duisburg. . Der Duisburger Frank Baier hat sich einen Lebenstraum erfüllt: Noch mal eine Platte zu machen, aus Vinyl. Texte und Musik sind wie immer: kämpferisch und mit ganz viel Herz

Homberg, da wo sich die Stahlstadt auch niederrheinisch gibt, da ist er zu Hause: in der Rheinpreußensiedlung. Um sein kleines Zechenhaus hat er gekämpft, so wie seine Nachbarn auch, auf seine Art: mit Musik. Im Februar wird er dreiundsiebzig – und ist kein bisschen leise.

Alle Welt hört Musik aus dem Internet – und Du machst ‘ne Platte. Aus Vinyl. Ein Wahnsinn.

Seit den Siebzigern steht in meinem Archiv eine Platte: „Warum geht es mir so dreckig“ von Ton, Steine, Scherben. Die Scheibe steckt in zwei getackerten Papp-Deckeln. Ich habe mir geschworen: Wenn ich noch einmal eine Platte mache, dann so – und nicht als CD. Eine Platte passt gut zu meiner Musik.

Klingt nach einer Herzensangelegenheit.

Ganz ehrlich: Ich habe mir damit einen Lebenstraum erfüllt.

Und das mit 72 Jahren.

Verrückt, ich weiß. Ich habe früher auch mit Ton, Steine, Scherben gespielt, in einem besetzten Haus in Uerdingen. Rio Reiser hat mir dann erzählt, wie sie damals in der Küche saßen und ihre Platte zusammentackerten. – Und jetzt mach ich dat auch.

Wenn ich also eine Platte bei Dir bestelle...

... dann setzte ich mich hin und tackere. Und bevor ich ein Konzert spiele, setzte ich mit meiner Frau und einem Kumpel hin, und wir tackern zusammen. Herrlich!

Okay. Du tackerst richtig, aber tickst Du auch richtig?

(lacht) Ich bin total glücklich, diese Platte gemacht zu haben.

Wie kam es zu der Scheibe?

Jochen Wiegandt und ich haben das „Liederbuch Ruhr“ herausgegeben. Mit rund 200 Stücken, die Hälfte davon mit Noten. Dann fragten die Geschichtswerkstatt und das Archiv für populäre Musik im Ruhrgebiet in Dortmund mich, ob ich ein Konzert im Evinger Schloss spielen möchte, auf dem Gelände der Zeche Minister Stein. Ein fast vier stündiger Abend vor Publikum. Die wichtigsten Stücke des Konzerts haben wir auf die Platte genommen.

Von „Bergmann, fahr ein“ über „Rheinpreußen ruft Alarm“ bis zum „März-Rap 1920“.

Mir war wichtig, nicht nur das ganz alte Material zu bringen. Mindestens genauso wichtig wie die Musik sind die Geschichten, die ich dazu erzählen kann. Deshalb habe ich ein Booklet gemacht, um den Leuten neben den Texten auch zu erklären, was im Ruhrgebiet zwischen 1870 und 1980 abging.

Auf dem Plattentitel heißt es „Gesänge“, nicht „Lieder“ – warum?

Die Texte eines Heinrich Kämpchen sind eher Gesänge als Lieder. Sie sind eher im Sinne der Bänkelgesänge zu verstehen, sie stehen in einer viel größeren Tradition.

Will denn jemand die ollen Gesänge der Arbeiter noch hören?

Ja! Das ist doch das Schöne.

Ein Beispiel, bitte.

„14 Prozent Dividende“ – den Text dazu hat Victor Kalinowski geschrieben. Er hatte eine Nachricht in der Zeitung einer Bergwerkgesellschaft gelesen daraus seinen Text. (singt) Flammen schlagen aus dem Schacht, Schachthaus stürzt in Schutt und Serben. Drunten in der Grubennacht, rast der Tod und sät verderben. Tja, wenn auch die Grube brennt, sicher sind vierzehn Prozent! – Der Text ist von 1930, aber wenn ich das heute lese und höre, bin ich irgendwann beim Ackermann und der Deutschen Bank.

Demnach hätte sich in den vergangenen 85 Jahren nicht viel verändert.

Nee. Nicht wirklich. (lacht) Auch beim Konzert lache ich an solchen Stellen und sage den Leuten: „Ihr seid schlapp! Ihr seid nicht in der Lage, die politische Situation zu ändern. Ihr müsst etwas tun!“ Deshalb singe ich diese Lieder.

Meinst Du wirklich, Du erreichst auch junge Zuhörer damit?

Ob ich sie sofort packe, weiß ich nicht. Aber ich merke, sie werden wach gerüttelt. Sie spitzen ihre Öhrchen. Und dann fangen sie an, sich mit den Texten auseinanderzusetzen. Das ist doch schon mal ein guter Anfang.

Frank Baier stellt neue Platte im Ledigenheim vor

Liebhaberstück: Die Vinyl-Scheibe „Gesänge des Ruhrgebiets 1870 – 1980“ von Frank Baier, inklusive sehr lesenswertem Booklet, ist für 24 Euro beim Sänger erhältlich – per Mail: info@frank-baier.de. Infos im Netz: www.frank-baier.de

Live im Ledigenheim: Frank Baier stellt seine neue Scheibe am Freitag, 15. Januar, auf der ehemaligen Zeche Lohberg, Stollenstraße 1, vor. Beginn 20 Uhr.

Zum Weiterlesen: Auch das „Liederbuch Ruhr - Glück auf!“ von Frank Baier und Jochen Wiegandt (200 Stücke, von Arbeiterliedern bis „Currywurst“) gibt es für 14 Euro beim Sänger.