„Dramatische Verwerfungen“ am Stahlmarkt beklagte gestern der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff. Vor allem steigende Stahl-Exporte aus China bereiteten der Branche ernsthafte Probleme. Dringend erforderlich sei der umgehende Einsatz handelsrechtlicher Schutzinstrumente, in Brüssel müsse gehandelt werden.
Gleichwohl habe sich die Stahlkonjunktur in Deutschland im laufenden Jahr noch „vergleichsweise stabil“ entwickelt. Die Rohstahlproduktion liege auf Vorjahresniveau, und bei der Kapazitätsauslastung lägen die deutschen Werke mit 88 Prozent im internationalen Vergleich auf einer Spitzenposition. Weltweit liege die Auslastung bei 72 Prozent, in Europa bei 79. Zu beobachten sei aktuell aber ein Rückgang der Aufträge. Die Prognose vom Jahresbeginn, nach der die deutsche Stahlproduktion 2015 um ein Prozent auf 43,3 Millionen Tonnen (davon rund die Hälfte in Duisburg) steigen werde, sei wohl nicht mehr zu halten. Für das kommende Jahr gebe es aber Hoffnung auf eine Erholung. Die Produktionserwartungen in der Industrie seien für die nächsten Monate aufwärtsgerichtet. Kerkhoff: „Wir rechnen damit, dass die Stahlnachfrage in Deutschland 2016 leicht zulegen wird.“
Eine Hoffnung, die der Präsident der Wirtschaftsvereinigung aber einschränkte: „Sollte sich das extensive Dumping chinesischer und anderer Anbieter in den kommenden Monaten oder sogar Jahren fortsetzen, könnte dies auch den Standort Deutschland ernsthaft bedrohen.“ Auch eine „wettbewerbsstarke“ Stahlindustrie könne nicht auf Dauer „in einem Umfeld operieren, in dem auf breiter Front mit Dumpingpreisen der Wettbewerb verzerrt wird“.
Hintergrund dieser Entwicklung seien weiter zunehmende Überkapazitäten der chinesischen Stahlhersteller, die nun auf den europäischen Markt drängten. 2016 könnten die Überkapazitäten im Reich der Mitte bei 410 Millionen Tonnen liegen.
Brüssel sei daher gefordert, ohne langes Zögern „konsequent“ gegen Dumping aus Fernost vorzugehen. Ansonsten drohten „irreversible unternehmerische Entscheidungen zu Lasten der heimischen Standorte“. In Großbritannien sei bereits der Abbau von etwa 6000 Stahljobs angekündigt worden.