Duisburg. Er wäre jetzt 100 Jahre alt geworden: Rudolf Schock. Duisburg erinnert an den großen Sänger, und auch Nachbarn erinnern sich.
Ich muss gestehen, dass ich Rudolf Schock erst in den 70-er Jahren live erleben durfte. Als blutjunger Volontär hörte ich ihn als Liedersänger in der alten Mercatorhalle im Rahmen der damals sehr erfolgreichen Meisterkonzerte der Wylach-Konzertdirektion. Stimmlich hatte er da seinen Zenit überschritten und auch Liederabende waren nicht gerade das, was einen Musikstudenten, der im Fahrwasser der 68-Bewegung 1971 sein Abitur beim Mercator-Gymnasium abgelegt hat und mittlerweile Kurse bei Karlheinz Stockhausen genoss, in Begeisterung versetzen konnte.
Und die gemütlichen Fernsehauftritte Schocks erhärteten das Klischee vom singenden Wandersmann zusätzlich. Welch guter und vor allem aufrichtiger und sorgfältiger Sänger Schock gewesen ist, wurde mir erst viel später klar, als mir Schallplatten aus den 50er-Jahren in die Hände gefallen sind.
Arbeiterfamilien unter einem Dach
Trotz dieser eher diffusen Erinnerungen war mir der Name Rudolf Schock seit Kindesbeinen ein Begriff. Und zwar wohnte mein Vater als Kind – er war fünf Jahre jünger als der Sänger – mehrere Jahre im gleichen Haus in Hochfeld. Es war die Zeit der späten 20er- und frühen 30er-Jahre, als Rudolf Schock eine ungeliebte Friseur-Lehre absolvierte. Die Situationen der Familien Schocks und meines Vaters waren ähnlich. Deren Väter siedelten zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Ostdeutschland ins Ruhrgebiet, wo sie wenigstens Arbeit finden konnten. Finanziell waren bescheidene, wenn nicht ärmliche Verhältnisse angesagt, eine gymnasiale Ausbildung jenseits der Möglichkeiten.
Die Schocks lebten noch beengter als meine Familie. Mein Vater sah Mutter Schock so gut wie nie, weil sie ständig arbeitete. Zu oberflächlichen Begegnungen kam es, als mein opernliebender Großvater – er war Kranführer auf der DEMAG – meinen Vater in den 30er-Jahren ab und zu ins Stadttheater in die Oper mitnahm.
Zeitweise als Straßensänger unterwegs
Von Rudolf Schock sah mein Vater im heimischen Haus auch nicht viel. Rudolf schuftete als Lehrling und war zeitweise als Straßensänger unterwegs. Lediglich am Samstagabend und am Sonntag blieb Zeit zum Üben. Und mein Vater hörte die intensiven Gesangsübungen des jungen ehrgeizigen Nachbarn. Später kam ein Klavier hinzu. Das muss um 1933 gewesen sein. Bis mein Vater eine ebenfalls völlig misslungene Friseurlehre antrat, wurde er Zeuge, wie intensiv Rudolf Schock an seiner Stimme arbeitete. In den hellhörigen Räumen des Hauses nervte das mitunter. Aber es beschwerte sich niemand. Es wimmelte schließlich von Kindern damals und niemandem wäre eingefallen, wegen Kindergeschrei oder musikalischer Übungen vor Gericht zu ziehen.