Duisburg. Der neue Bildband „Am Güterbahnhof“ mit Arbeiten des Künstlers Allan Gretzki beinhaltet stumme Zeugen der Loveparade-Katastrophe.

An der Sonnenbrille ist eines der braunen Gläser herausgebrochen. Das Mobiltelefon sieht aus, als sei es mit einem Vorschlaghammer bearbeitet worden. Und die rot-weiße Federboa schimmert noch immer vor Dreck. Diese und 70 weitere Gegenstände hat der Kölner Künstler Allan Gretzki damals auf dem Loveparade-Gelände gefunden, aufgehoben und später im Studio mit seiner Fotokamera abgelichtet. Seine Arbeiten sind ebenso stumme wie eindringliche Zeugen einer Katastrophe, bei der am 24. Juli 2010 21 Besucher ihr Leben verloren haben. Im neuen Bildband „Am Güterbahnhof“ sind die Fotos nun erstmals in gedruckter Form zu sehen.

Erschienen ist das 68-seitige Buch im Hamburger Verlag Klingenberg Books. Dieser existiert seit dem Vorjahr und hat seinen Schwerpunkt auf Kunstbücher gelegt. Verleger Lars Klingenberg war im Internet auf die Arbeiten des Künstlers Allan Gretzki (Jahrgang 1979) aufmerksam geworden. Dort stellte er auch jene Bildergalerie mit den Fundstücken des Loveparade-Geländes ein.

Die stilistische Idee

Auch interessant

loveparade duisburg.jpg
Von Felix Laurenz, Peter Sieben

Gretzki war am Unglückstag als technischer Helfer des WDR im Einsatz. Er hat die Katastrophe vor Ort miterlebt, war jedoch nicht im Karl-Lehr-Tunnel, an dessen Rampe die Menschen im Gedränge zu Tode kamen. Die Gegenstände aufzulesen, sei reine Intuition gewesen, so der Künstler. Fotografiert hat er sie dann sachlich, nüchtern, aus der Vogelperspektive betrachtet – also ganz im Stile der polizeilichen Beweisfotografie. „Das war die stilistische Idee“, so Verleger Klingenberg (36). „Es handelte sich bei diesem Gelände um einen Tatort – entsprechend hat Gretzki das auf den Fotos in Szene gesetzt.“

Ihm sei dieses Thema wichtig, so Klingenberg, weil Kunst sich heute viel zu selten politischen und gesellschaftlichen Themen widme. „Kunst muss Verantwortung übernehmen und den Finger in die Wunde legen. Stattdessen geht es oft nur um die Bespaßung der Gesellschaft“, so Klingenberg. Gesellschaftskritik komme zu kurz. Diesen Bildband sieht er als Beitrag, um einen anderen Blick auf eine der größten Tragödien in Nachkriegs-Deutschland zu werfen.

Der Bildband wird ergänzt durch zwei Interviews, die Klingenberg selbst mit Dirk Schales und Thorolf Schmidt geführt hat – beide gehören zur Gruppe der Verletzten und Traumatisierten, beide gehören der Betroffenen-Initiative LoPa 2010 an. Sie schildern ihre Eindrücke aus dem Gedränge und welche Folgen dieser Tag für ihr Leben hatte.