Duisburg. Schlimmer als in härtesten Neonaziforen sei es unter Neumühls Bürgern zugegangen bei der Flüchtlingsdebatte, analysieren Rechtsradikalismusforscher.

Sie erleben gerade ein Déjà-Vu, die Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS): "In den 90er Jahren sagten viele, „ich bin nicht ausländerfeindlich, aber...“ und am Ende brannten Häuser, starben Menschen in Hoyerswerda, Solingen. Heute sagen Menschen „Ich bin nicht rechts, aber...“ und spätestens im zweiten Satz äußern sie sich extrem rechts“, analysiert Martin Dietzsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter. Taten könne man nach solchen Äußerungen nicht ausschließen.

Wie stark sich die Manifestierung rechtsextremer Gedanken in der Sprache ablesen lässt, hat das DISS damals schon belegt. Bevor in den 90er Jahren Asylbewerberheime brannten, gab das Institut eine Analyse der Sprachgewohnheiten heraus und nannte sie fast prophetisch „BrandSätze. Rassismus im Alltag". Heute seien extreme Formulierungen erneut aussprechbar, beobachten die Forscher insbesondere in Internet-Foren und Facebook-Gruppen.

Einwanderung wird problematisiert

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In 20 Jahren habe sich schon einiges geändert, sagt Dr. Margarete Jäger, Vorsitzende des DISS, so sei inzwischen Konsens, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, auch habe sich „eine antirassistische Bewegung entwickelt, die gab es Anfang der 90er Jahre so nicht“. DISS-Mitarbeiterin Iris Tonks ergänzt: „Aber die Einwanderung wird in der Diskussion problematisiert, es geht um Kriminalität, Müll, soziale Probleme und die Bedrohung des Wohlstandes“. Was Dietzsch für total übertrieben hält, "als würden wir wegen ein paar Asylbewerbern im Notstand leben“.

Ärgerlich sei auch die Reaktion der Politiker, die „so tun, als seien sie hilflos und verweisen auf Land und Bund“. In diesem Zusammenhang „war das Zeltlager in Duisburg eine einzige Inszenierung“, ärgern sich die Mitarbeiter des DISS, ein teures Druckmittel, das mit dem Feuer spiele.

Manche Berichterstattung hinterlasse ein mulmiges Gefühl, beobachtet Tonks auch bei sich selbst. „Eine Weile dachte ich, ich kann an keinen Bankautomaten gehen, ohne überfallen zu werden, dabei geht die Kriminalität zurück.“ Dazu geführt hatten Artikel über „Klau-Kids“, mit denen Menschen bestimmter Volksgruppen stigmatisiert würden.

Auch Zahlen der Polizei seien geeignet, Ängste zu schüren, Zahlen, die sich in der Jahresstatistik am Ende nicht wiederfinden, so die Forscher. Aber die Negativ-Schlagzeilen zu Roma und in der Folge eine angstbehaftete Abwehrhaltung gegenüber diesen Zuwanderern werde pauschal übertragen auf alle Asylsuchenden. Es fehle eine Auseinandersetzung mit diesen Ängsten, aber auch eine bessere Aufklärung, welche Menschen da eigentlich kommen, welche Motivation sie haben, glaubt Tonks.

Verbale Entgleisung in der Debatte

Vor allem den rumänischen und bulgarischen Zuwanderern, oft pauschal als Roma bezeichnet, würde in vielen Kommentaren das Menschsein abgesprochen. Es seien "Zigeuner, bei denen Hitler vergessen hat, sie zu vergasen", zitieren die Forscher aus Debatten, bei denen sich keiner gerührt und die Polizei eingeschaltet habe wegen Volksverhetzung.

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Erschreckt hat die Forscher aber vor allem der Ton, der in der online geführten Debatte zur Neumühler Flüchtlingsunterkunft herrschte: „In den härtesten Neonazi-Foren herrscht nicht so ein Ton“, sagt Dietzsch. Was damit zusammenhängt, dass Neonazis sich nicht angreifbar machen wollen, vorsichtig am Rande der Rechtmäßigkeit formulieren, während bei den Bürgern, die "nicht rechts sind, aber..." eben die Sicherung durchbrenne.

In Neuenkamp eskalierte die Diskussion in den Foren bislang nicht so stark, gab es mehr Bürger, die argumentativ gegenhielten, solche moderaten Stimmen fehlten in Neumühl. Andererseits hat Dietzsch auch beobachtet, dass „die plumpe, krasse Ausländerfeindlichkeit in Duisburg nicht so einen Stellenwert hat, weil das Leben und die Familien seit Jahren von Einwanderung geprägt sind, die Forderung eines rein deutschen Duisburg wäre aberwitzig“.

Interview mit Rassismusforschern im DISS der Uni.
Interview mit Rassismusforschern im DISS der Uni.

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung

Das DISS wurde 1987 gegründet und war wegen seines Gründers Professor Siegfried Jäger eng mit der Universität Duisburg-Essen verbunden. Aber finanziell ist es komplett von Drittmitteln abhängig, von Stiftungsgeldern und Spenden.„Stimmungsmache - Extreme Rechte und antiziganistische Stimmungsmache“ ist die neueste Analyse überschrieben. Artikel der WAZ und im Online-Portal Der Westen werden hier kritisch betrachtet wie auch das Vorgehen der extremen Rechten in Duisburg. Die Untersuchung ist online abrufbar unter www.diss-duisburg.de