Duisburg. In manchen Notaufnahmen rückt die Polizei mehrmals pro Woche an, weil Streitereien eskalieren. Sicherheitsdienste unterstützen die Mitarbeiter.

Derbe Beschimpfungen, Reißen am Kittel, Drohgebärden gegen Ärzte und Pfleger – in Notfallaufnahmen mancher Duisburger Krankenhäuser gehört aggressives Verhalten von Patienten und ihren Angehörigen offenbar zum Alltag. „In den letzten Jahren ist die Zahl der Übergriffe auf das Klinikpersonal merklich gestiegen“, sagt etwa Dr. Andrea Kutzer, Leitende Ärztin der zentralen Notaufnahme im Evangelischen Krankenhaus Duisburg-Nord.

Für die Medizinerin sind Randalierer längst keine Ausnahme mehr. Häufig seien sie und ihre Kollegen Beschimpfungen ausgesetzt. Manchmal käme es auch zu Sachbeschädigungen oder körperlichen Übergriffen. „Man wird mal geschubst oder jemand stellt ein Beinchen“, beschreibt sie das Verhalten, das ihr entgegenschlägt.

Mit Klinge am Hals bedroht

Auch von weniger Harmlosem kann sie berichten: „Wir hatten hier schon den Fall, dass eine Pflegerin geschlagen oder jemand mit einer Klinge am Hals bedroht wurde.“ Mehrmals pro Woche müssten sie und ihre Kollegen die Polizei rufen. Erst im November hatte Kutzer Anzeige erstattet, weil ein Streit in der Notfallaufnahme eskaliert war.

Dr. Andrea Kutzer, Leitende Oberärztin der Zentralen Notaufnahme im Evangelischen Krankenhaus Duisburg-Nord, hat erst im November das letzte Mal Anzeige erstattet.
Dr. Andrea Kutzer, Leitende Oberärztin der Zentralen Notaufnahme im Evangelischen Krankenhaus Duisburg-Nord, hat erst im November das letzte Mal Anzeige erstattet. © Foto: Guido Jansen, Klinikum Niederrhein

Die Erfahrungen, die die Mitarbeiter am Evangelischen Krankenhaus machen, passen in das Bild, das sich an vielen Kliniken an Rhein und Ruhr zeigt. Jüngst hat eine Klinik in Lünen bekanntgegeben, einen Sicherheitsdienst einsetzen zu wollen, und damit eine Debatte um schärfere Sicherheitsmaßnahmen in Notaufnahmen ausgelöst.

Auch im Evangelischen Krankenhaus ist der Einsatz eines Sicherheitsdienstes schon lange im Gespräch. „Security wäre wirklich angebracht, viele Mitarbeiter fühlen sich verunsichert und unwohl, wenn es mal wieder anfängt zu brodeln wie in einem Vulkan“, sagt Kutzer.

Im Notfall werden Kollegen über ein internes System alarmiert

Nur vier Kilometer weiter südlich, in der Helios-Klinik St. Johannes, ist ein Sicherheitsdienst schon längst Realität. Er unterstützte die Mitarbeiter im Bedarfsfall, teilt eine Krankenhaussprecherin auf Anfrage mit. Zusätzlich habe die Klinik ein internes, telefonisches Alarmierungssystem eingerichtet. Darüber können im Notfall mehrere Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen zeitgleich informiert werden. Sie seien dann innerhalb kürzester Zeit vor Ort, um ihren Kollegen zu helfen.

Auch im Bethesda-Krankenhaus ist die Notfallaufnahme auf Randalierer vorbereitet. Einen Sicherheitsdienst gibt es dort zwar nicht. Um Mitarbeiter und andere Patienten zu schützen, hat das Krankenhaus aber eine Kameraüberwachung installiert. Zusätzlich tragen die Mitarbeiter sogenannte Funkfinger, über die sie einen Notruf an die Krankenhaus-Zentrale und an die Polizei senden können.

Erst am 2. Februar musste die Polizei zu einem Einsatz ins Bethesda-Krankenhaus ausrücken. Drei Frauen, 74, 48 und 18 Jahre alt, waren mit dem Klinikpersonal aneinander geraten und hatten später sogar eine Polizistin geschlagen, berichtet die Polizei Duisburg. Als ein Angehöriger reanimiert werden musste und den Frauen der Zugang zu ihm verwehrt wurde, eskalierte die Situation.

Seit Jahresbeginn zählt die Duisburger Polizei bereits zehn Einsätze, die auf Randalierer in Krankenhäuser zurückgehen, teilt die Duisburger Polizei auf Anfrage mit. Allerdings könne es durchaus sein, dass nicht alle Einsätze in der Statistik erfasst werden.

Die Polizei zu verständigen und Anzeige zu erstatten, wollen die Kliniken soweit es geht vermeiden. Stattdessen setzen sie auf Deeskalation. In internen Schulungen oder in Zusammenarbeit mit der Polizei lernen die Krankenhaus-Mitarbeiter, brenzlige Situationen zu entschärfen und aggressive Personen zu beruhigen. „Wir haben zum Glück Pflegepersonal, das schon viele Jahre in der Notfallaufnahme arbeitet und eine gewisse Routine darin zeigt, Streitigkeiten diplomatisch zu klären“, sagt Andrea Kutzer.

Lange Wartezeiten führen zu Aggressivität 

Aggressivität und Übergriffe resultierten meist aus den langen Wartezeiten, stimmen Klinikleitungen und Ärzte überein. Das Problem seien steigende Patientenzahlen in den Notfallambulanzen. 28.000 Erwachsene und 12.000 Kinder wurden 2014 in der Notaufnahme der St.-Johannes-Klinik behandelt. Im Evangelischen Krankenhaus Duisburg-Nord waren es 42.000 – 6.000 mehr als 2013. Und nicht alle Erkrankungen seien tatsächlich Notfälle.

Der Geschäftsführer des Bethesda-Krankenhauses Dr. Holger Praßel erklärt: „Nicht immer sind alle Patienten nach medizinischen Gesichtspunkten als akuter Notfall einzustufen." Deshalb könne es zu längeren Wartezeiten kommen, was in der Folge zu gewalttätigen Eskalation führe. Das seien aber nur "absolute Ausnahmefälle“.

"Die haben in der Notaufnahme nichts zu suchen"

„Manche könnten auch zu ihrem Hausarzt gehen, die haben in der Notaufnahme eigentlich nichts verloren“, sagt auch Dr. Andrea Kutzer. Viele würden die Notaufnahmen als Serviceanbieter für Gesundheitsleistungen begreifen. Dass Patienten nach Dringlichkeit behandelt werden, sei ihnen nur schwer begreiflich zu machen.

Auch interessant

Auch Kutzers Kollege Frank Marx kann das bestätigen. „Das Anspruchsverhalten der Patienten ist größer geworden“, erklärt der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes der Feuerwehr Duisburg, „und damit auch der Ton rauher.“ Seine Kollegen im Rettungsdienst machen ähnliche Erfahrungen wie die Ärzte in den Notaufnahmen. Stetig steige die Zahl der Rettungsfahrten – jedes Jahr um drei bis vier Prozent. „Ein großer Anteil der Patienten ist keineswegs lebensbedrohlich erkrankt“, weiß Marx.

Auch er und seine Kollegen sind immer mal wieder Aggressivität und Anfeindungen ausgesetzt. Auch er kennt Fälle, in denen die Gewalt eskalierte und Rettungssanitäter geschlagen wurden. Dennoch seien solche Situationen Einzelfälle. "Wir haben insgesamt 70.000 Fahrten im Jahr", betont er, "bei den meisten Einsätzen erleben wir große Dankbarkeit dafür, dass wir innerhalb von Minuten helfen konnten."

Das steigende Patientenaufkommen beim Rettungsdienst und in den Klinik-Notaufnahmen sieht Marx als Resultat sich verändernder Sozialstrukturen. Krankenfahrten werden eingeschränkt, Notfallpraxen geschlossen. Er sagt voraus: „Dass Problem wird sich in Zukunft noch verschärfen.“