Duisburg. Was wollen Salafisten eigentlich? Warum haben sie aktuell in Deutschland so viel Zulauf? Welche Verbindungen bestehen zwischen ihnen und den Terroristen des Islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien? Der Duisburger Journalist und Islamwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders gibt Antworten.

Mit "Salafismus in Deutschland - Ursprünge und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung" erschien in diesem Herbst ein Buch des Duisburger Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders. Der Autor stellt sein Werk am 17. November in der VHS Duisburg vor (weitere Informationen gibt es hier). Dabei geht er auch auf die Probleme in Duisburg ein, wo die Salafisten bereits seit einiger Zeit aktiv sind. Anfang des Jahres hatte der Konvertit Pierre Vogel zu einer Kundgebung auf den Duisburger Bahnhofsvorplatz geladen. Regelmäßig sieht man auf der Königstraße junge Männer, die kostenlos Koran-Ausgaben verteilen. Doch was wollen die Salafisten? Wo kommen sie her? Warum haben sie aktuell so viel Zulauf?

Talkshows, Lesungen. Interviews. Herr Schneiders, Sie sind zur Zeit ein sehr gefragter Mann. Wenn es um Salafismus in Deutschland geht, werden Sie gerne als Experte befragt. Was steckt eigentlich hinter dieser Strömung, die nach offizieller Lesart sogar ausschlaggebendes Moment für die wohl unheilvollste Allianz (Hooligans und Nazis) der letzten Jahre sein soll?

Thorsten Gerald Schneiders: Wir haben es hier mit einer weiteren Form des Extremismus zu tun, die sich neben Rechts- und Linksextremismus in Deutschland breit gemacht hat. Die Vordenker missbrauchen die Religion des Islams. Sie suchen sich aus der Lehre das heraus, was in ihre fundamentalistische Weltsicht passt, und norden die Mitläufer entsprechend ein. Die Hooligans reagieren vor allem auf das Gewaltpotenzial der Salafisten, die Rechtsextremen sehen vor allem ein Betätigungsfeld für ihren Fremdenhass.

Thorsten Gerald Schneiders
Thorsten Gerald Schneiders © HO

Migrationshintergrund, Pubertät, Probleme in der Schule und Zuhause, ausgegrenzt und naiv. Wenn junge Männer sich radikalisieren, sind dies häufig die gemeinsamen Merkmale ihrer Biografie. Dann heißt es: Sie haben in der Gruppe ein neues, stabiles, fürsorgliches Zuhause gefunden. Ist es das? Locken Salafisten mit der Wärme der Bruderschaft? Oder wächst ihre Zahl in Deutschland, weil der Hass gegen den westlichen Lebensstil sich verbreitet?

Schneiders: Einige Salafisten werden Salafisten, weil Muslime seit Jahren öffentlich beschimpft werden. Es ist eine Trotz-Reaktion auf die Islamfeindlichkeit: Nach dem Motto, wenn ihr uns eh nicht leiden könnt, dann erst recht. Das schweißt sie als Gruppe zusammen. Andere leiden unter kaputten Familienverhältnissen bzw. mangelnder sozialer Bindung. Wieder andere sind Schulversager, kommen mit dem Leben nicht klar. Die Salafisten versuchen, das zu kompensieren. Sie lenken die Wut weiter auf die westliche Gesellschaft, machen allein den Lebensstil hier für die Probleme verantwortlich; versprechen das große Glück, wenn man sich stattdessen auf die Religion konzentriert.

Verbindungen zwischen Deutschen Salafisten und Kämpfern des IS

Salafisten werden immer wieder in Verbindung mit der Mördertruppe des IS gesetzt. Welche Rolle spielen die Salafisten hier für den Krieg in Syrien und Irak?

Schneiders: Die Salafismus-Bewegung in Deutschland ist so etwas wie die Einstiegsdroge. Junge Leute kommen hier erstmals mit der Ideologie in Kontakt, hören prominenten Salafisten-Predigern im Internet oder vor Ort zu. Wer von der Ideologie infiziert wird, wird zwar nicht automatisch zum IS-Terroristen. Die meisten Salafisten wenden selber keine Gewalt an. Aber einigen ist Reden zu wenig. Sie wollen handeln. Dann kommt es auf die jeweilige Persönlichkeit an und auf die richtigen oder besser falschen Kontakte zu Dschihadisten. Das heißt, auch deutsche Salafisten bereiten den ideologischen Boden und liefern Rekruten für die Terrormiliz.

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Dinslaken-Lohberg ist eine Hochburg der Salafisten, in anderen Städten der Umgebung, vor allem im nahen Duisburger Norden sind solche Konzentrationen bisher nicht bekannt. Was ist an Dinslaken anders als an Duisburg?

Schneiders: Dass Dinslaken zu einer Hochburg geworden ist, folgt zum Teil schlicht einer unglücklichen Verkettung von Umständen. Im Stadtteil Lohberg konzentriert sich wie in anderen Städten auch zunächst all das, was wir soziale bzw. Integrations-Probleme nennen. Hinzu kommt aber, dass bestimmte Personen dort aktiv waren und dass zwei Dinslakener IS-Terroristen Bekanntheit erlangten: der eine als Selbstmordattentäter, der andere weil er mit abgetrennten Köpfen im Internet posierte. Das sorgte für Aufmerksamkeit.

In Duisburg startet demnächst ein staatliches Präventionsprogramm gegen Salafismus ("Wegweiser"). Was bringen solche Angebote bzw. was müsste man tun, um die Salafisten zur Abkehr zu bewegen?

Schneiders: Solche Angebote sind ganz wichtig. Wenn jemand in die Salafisten-Szene abgerutscht ist, ist er zunächst verloren. Den erreichen Sie nicht mehr. Das ist wie in einer Sekte. Die Leute hören nur noch ihren Vordenkern zu. Alles, was wir hier sagen, ist für die Feindbild bzw. wird ausgeblendet. Man hat die besten Chancen durch frühzeitige Aufklärungs- und Präventionsarbeit.

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Kritik an Islamverbänden

Zuletzt wurde in der Öffentlichkeit immer wieder der Ruf laut, dass sich die islamischen Religionsverbände deutlicher gegen Salafisten und islamistische Terroristen positionieren sollen. Aber lehnt die große Mehrheit der Muslime in Deutschland nicht ohnehin den Salafismus ab und verachtet die Gräueltaten des IS?

Schneiders: Selbstverständlich lehnt die große Mehrheit der Muslime das ab. Dennoch geschieht, gerade was die wichtige Präventionsarbeit angeht, in den Moscheen und den großen Islamverbänden zu wenig. Sie haben das Problem lange Zeit beiseite geschoben. Andere Themen waren ihnen wichtiger. Hier muss jetzt viel mehr kommen.

Welchen Stellenwert hat eigentlich die Religion bei dieser Strömung des Islam?

Schneiders: Wie gesagt, für die meisten Mitläufer ist Salafismus eine Protestform gegen gesellschaftliche Missstände. Da deutsche Muslime überwiegend ausländischer Herkunft sind, können sie sich schlecht dem Rechtsextremismus zuwenden. Auch linke Protestformen wie die Punk-Bewegung sind für die meisten zu weit weg. Diese Lücke schließt der Salafismus. Den meisten geht es hier nicht primär um religiöse Überzeugungen oder gar Theologie. Der Islam soll vor allem das politische Handeln der Vordenker rechtfertigen und legitimieren. Und er soll Jugendliche auf der Suche nach Identität anlocken.