Ziemlich genau 2000 Kilometer liegen zwischen Hamburg und dem italienischen Dorf Tricarico. Die A7 ganz runter, über den Brenner, an Foggia vorbei nach Süditalien. Zwei Beiträge der Duisburger Filmwoche eröffneten gestern und vorgestern ungewöhnliche Einblicke in das Leben, das sich an beiden Orten abspielt: Bernd Schoch dokumentierte einen Tag in der Kneipe Kurze Ecke, Michele Cirigliano wagte sich in den Mikrokosmos von Enzas Bar.
Bier, Karten, Zigaretten, Stimmengewirr – die Szenerien von „Kurze Ecke“ und „Padrone e sotto“ ähneln sich. Doch für die Menschen scheinen die Kneipen grundverschiedene Funktionen zu erfüllen. In Hamburg ruhen die Gäste aus, wohl vom Leben. Gesprächsfetzen von Arbeitern, ehemaligen Seeleuten, Stammgästen und anderen Kunden wehen vorbei, manchmal folgt ihnen die Kamera. Das ist so interessant, wie in einer Kneipe zu sitzen, in der man niemanden kennt. Die Menschen im Film scheinen unaufgeregt, wenn es nichts zu sagen gibt, wird stumm in die Luft geguckt. Schoch hat Zeit mitgebracht, und die nehmen sich auch die Gäste von Wirtin Helga. Lebensgeschichten werden kurz gestreift, zum Beispiel die von der 92-jährigen Else, die bis zuletzt kam und Schnäpse trank. Else kommt nicht mehr, das war es. Andere kommen, erzählen von der Seefahrt, vom Schlaganfall, knobeln um Waschmittel und Fisch. Die Wurst, lautet eine der tiefen Wahrheiten, die man erfährt, ist heute nicht mehr so gut wie früher. Draußen ist Bundestagswahl, das sorgt drinnen für kaum mehr als ein paar brummige Laute. Schoch hat hier ein Paradies entdeckt, in dem allerdings der Herbst ausgebrochen ist.
In Enzas Bar ist das Geschrei groß. Die Gäste spielen „Padrone e sotto“, der Gewinner bestimmt dabei, wer trinken darf. Das sorgt für Ärger, die Männer streiten leidenschaftlich. Einige von ihnen begleitet Cirigliano auch außerhalb der Bar, die Gründe für ihr Krakeelen werden dadurch klarer: Anders als um die Kurze Ecke herum ist in ihrem Dorf das Leben, ihr Leben stehengeblieben. Beruflich läuft es für viele nicht gut, sie können es nicht ändern. Aber wer die richtigen Karten hat, kann in der Bar bestimmen, wer Bier bekommt. „Das ist ein Kindergarten“, sagt ein Gast.
Ob in Hamburg oder Tricarico: Die Theken scheinen Zufluchtsorte zu sein, an denen sich die Menschen vor der Realität verstecken können. Beiden Filmemachern ist es gelungen, die Türen zu dieser Welt aufzustoßen. Als Zuschauer weiß man jedoch nicht, ob man wirklich hindurchgehen möchte.