Dortmund. Früher war Chris Stemann bekannt als DJ Firestarter. Heute ist er der erste Nachtbürgermeister des Ruhrgebietes. Das sind seine Aufgaben.
Die einen wollen Party, die anderen ihre Ruhe. Da ist Streit nur eine Frage der Zeit. Um zu vermitteln, richten immer mehr Städte im Land eine neue Stelle ein: den Nachtbürgermeister. Essen soll 2023 einen bekommen, Dortmund hat ihn schon. Dort heißt er „Nachtbeauftragter“.
Der Tag geht, Chris Stemann kommt. Wenn er nicht schon da ist. Denn trotz des Wortes „Nacht“ in der Berufsbezeichnung – „einen Großteil meiner Arbeit“, sagt er, „erledige ich am Tag“. Seit Spätsommer 2021 macht er das, und damals ist er der Erste seiner Art in NRW.
Schnittstelle zwischen Verwaltung und Nachtleben
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Geplant war die Stelle schon länger. „Die Pandemie hat das dann befeuert“, sagt Stemann. Denn wo vor Corona die Nacht zum Tage gemacht wird, herrscht zwischen Frühling 2020 und Herbst 2021 gespenstische Ruhe. Clubs geschlossen, Ausgangssperren, Partyverbote. In dieser Zeit schreibt die Stadt den Job des Nachtbürgermeisters aus, der Schnittstelle sein soll zwischen der Verwaltung und dem organisierten wie dem unorganisierten Nachtleben. In der Stadt und in der Szene auskennen soll er sich, soll Kontakte zu Veranstaltern und Clubbesitzern haben, einfach ein Gefühl für die Nacht. Stemann, der ehemalige Discjockey und Partyveranstalter, liest die Ausschreibung und denkt: „Das bin ja ich.“
Denn Chris ist besser bekannt als DJ Firestarter. In 40 Ländern rund um die Welt hat er aufgelegt, hat bei der großen Eröffnungsparty der Fußball-WM in Kapstadt Musik gemacht und bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles. „Mein altes Leben“ nennt er das. Ein Leben, das mit Corona endet, aber das ihm jetzt hilft in seinem „neuen Leben“.
Guides sollen dabei helfen, die Lage nicht eskalieren zu lassen
Zum Beispiel wenn es darum geht, das „unorganisierte Nachtleben“ nicht eskalieren zu lassen. In jeder großen Stadt des Reviers gibt es Hotspots, an denen sich die treffen, die nicht in Clubs oder Discos gehen wollen. Zum Chillen, zum Grillen, zum Tanzen und Trinken. In Dortmund sind das der Westpark, die Möller-Brücke und das Dortmunder U. Laut wird es dort, und viel Müll bleibt liegen. Über beides sind Anwohner nicht sehr erfreut.
Wo andere Städte die Polizeipräsenz erhöhen, schickt Stemann die „Dortmund-Guides“ los. Ein Team aus überwiegend jungen Männern und Frauen, deren Rucksäcke LED-Displays haben, auf denen „Frag mich was“ steht. In Südafrika hat er das Konzept kennengelernt. „Und da hat es echt etwas gebracht.“ Die blinkenden Rucksäcke, auf die ihre Träger ständig angesprochen werden, wodurch diese mit den Feiernden ins Gespräch kommen, hat er bei einer Tournee durch Japan entdeckt. „Das funktioniert auch hier.“
Clubbetreiber mit vielen Sorgen
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Die Guides dürfen nichts anordnen, sie können nicht drohen. Sie können nur appellieren, Wogen glätten, Fragen beantworten oder kostenlose Mülltüten verteilen. Gibt es Stress, sind sie raus. Dann kommt das Ordnungsamt oder gleich die Polizei. Passiert, wird aber seltener. „Es gibt viel weniger Einsätze“, sagt Stemann. „Und die Anwohner und Anwohnerinnen fühlen sich durch die Guides ebenfalls abgeholt.“ Schon deshalb soll das Konzept ausgeweitet werden – andere Städte sind interessiert.
Auch um die Clubs in Dortmund, also das organisierte Nachtleben, kümmert sich Stemann. Selbst wenn er keiner mehr von ihnen ist, kennt er die Sorgen der Clubbetreiber. Und sie kennen ihn, weil er die letzten 25 Jahre nicht nur DJ, sondern auch Partyveranstalter in Dortmund war. Deshalb arbeiten sie mit ihm zusammen und nicht wie früher oft gegen die Behörden. Stemann hat den Clubs geholfen beim „Restart“. Hat ihnen von Fördermitteln erzählt und wie und wo sie sie beantragen können oder mit ihnen an neuen Konzepten gearbeitet. Er sei „Vermittler“, sagt der 51-Jährige und spürt ein neues Vertrauen zwischen der Stadt und den Clubs, das so wichtig ist für die Ökonomie und das Image einer Stadt.
Nur ganz junge Leute feiern noch bis zum Abwinken
„In Dortmund musste noch kein Club schließen“, sagt der gebürtige Lüner. Beruhigt ist er deshalb nicht. Noch immer nämlich sind die Besucherzahlen längst nicht wieder wie vor der Pandemie. „Nur die ganz Jungen feiern bis zum Abwinken“, weiß Stemann.
Stemanns Arbeit ist jedenfalls nicht vorbei. Ganz im Gegenteil. Vor kurzem erst haben sich in Dortmund mehr als ein Dutzend Nachtbürgermeister aus Deutschland getroffen. Kontakte sind geknüpft, Erfahrungen ausgetauscht worden. Und Stemann hat gemerkt: „Dortmund steht ganz gut da.“ Das liege vor allem daran, dass die Zusammenarbeit in der Verwaltung viel besser funktioniere, als er das für möglich gehalten habe. „Die Stelle des Nachtbeauftragten wird ernst genommen und hat ein ordentliches Budget. Ohne das braucht man gar nicht erst anzufangen.“
Weitere Ratschläge für andere Städte möchte er allerdings nicht geben. Höchstens einen Tipp für die Männer und Frauen, die sich dort vielleicht für seinen Job bewerben möchten. „Das Wichtigste für einen Nachtbürgermeister“, sagt Stemann, „ist, dass du wirklich Bock auf den Job hast.“