Dortmund. Der 15. Juni 1989 war ein Feiertag für Dortmunds Hoeschianer: Michail Gorbatschow kam nach Dortmund – dank einer rotzfrechen Betriebsrats-Idee.
Vor über 30 Jahren kam hoher Besuch zu Hoesch auf die Westfalenhütte nach Dortmund: Der damalige sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow sprach vor versammelter Belegschaft in der Conti-Glühe. Am 30. August 2022 starb Gorbatschow im Alter von 91 Jahren in Moskau.
Dass "Gorbi" am 15. Juni 1989 überhaupt nach Dortmund kam, ist einer rotzfrechen Initiative des selbstbewussten Hoesch-Betriebsrats zu verdanken: Sie lockten den umjubelten Staatschef in die Polit-Provinz.
Hoesch-Betriebsrat: "Wir haben ihn rotzfrech eingeladen"
Das lief so: 1988 war Kanzler Helmut Kohl auf Staatsbesuch in Moskau – durch Zufall zeitgleich mit dem Hoesch-Betriebsrat. Die Dortmunder Personalvertretung stand schon länger in freundschaftlichem Kontakt zu Kollegen verschiedener Stahlkombinate in der UdSSR. In Moskau hörte Betriebsrats-Chef Werner Nass, dass Gorbatschow zum Gegenbesuch nach Deutschland kommen sollte. "Wir haben ihn rotzfrech eingeladen", sagte er damals in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Gorbatschows Zusage kam prompt.
Aber Nass' spontane (und erfolgreiche) Eigeninitiative stieß nicht nur auf Gegenliebe: Was erdreistet sich ein einzelner Betriebsrat, einen so hohen Herren auf eigene Faust nach Deutschland einzuladen? Die Gewerkschaft IG Metall versuchte, Nass zurückzupfeifen. Es hagelte Schelte. Aber der Dortmunder Personalvertreter ließ sich nicht beirren. „Warum sollte mich das kümmern", meinte Werner Nass damals, „nur weil wir drei Schritte nach vorn gegangen sind?"
Als Michail Gorbatschow am Ende seiner dreitägigen Deutschland-Reise mit Gattin Raissa nach Dortmund kam, klebten über 8000 Hoeschianer an seinen Lippen. Und der Staatsmann traf den richtigen Ton. Es fielen Sätze wie "Sie als Hüttenwerker wissen, wie schwer es ist, Stahl zu produzieren, welchen Schweißes das bedarf" oder „Letzten Endes ist der Grundstein jeder Gesellschaft der arbeitende Mensch“. Das kam gut an – vor allem nach der harten Zeit der Sanierung unter Vorstandschef Detlev Rohwedder.
Vor 8000 Hoeschianern: Gorbatschow traf den richtigen Ton
Aber der damalige IGM-Chef boykottierte das Event in Dortmund trotzig. Betriebsrat Werner Nass störte das kaum: Stattdessen sprach er selbst (natürlich erst nach Gorbatschow) vor der Hoesch-Belegschaft im Stahlwerk. Dabei schlug er den russischen Reformer auch für den Friedensnobelpreis vor – den er ein Jahr später tatsächlich bekam.
Noch heute erinnert eine Gedenktafel auf der Westfalenhütte an den großen Besuch in Dortmund. 1991 kam es zur feindlichen Übernahme von Hoesch durch Krupp. Die Flüssigphase (Herstellung von Rohstahleisen und Stahl) wurde 2001 geschlossen. Heute arbeiten im verbliebenen Walzwerk von ThyssenKrupp auf der Westfalenhütte noch über 1000 Menschen.