Dortmund. Nach Gerüchten, er sei verschwunden, muss der auf freiem Fuß befindliche verurteilte Mörder der Schülerin Nicole Schalla eine Fußfessel tragen.

Ralf H., der zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder der 16 Jahre alten Schülerin Nicole-Denise Schalla, muss jetzt eine elektronische Fußfessel tragen. Das hat das Amtsgericht Münster auf Antrag der Polizei Münster angeordnet. Wie eine Sprecherin der Polizei am Donnerstag bestätigte, gilt die Anordnung vorerst für drei Monate.

Ende März verursachte die Nachricht, Ralf H. sei unauffindbar, viel Wirbel. Der 56-Jährige befindet sich auf freiem Fuß, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Sein Anwalt nannte die Nachricht „Ente des Jahres“ und sprach von einer „hanebüchenen Falschmeldung“. Sein Mandant sei, wo er sein müsse, und „keineswegs auf der Flucht“. Selbst die Polizei Münster, die Medienberichten zufolge bereits die Fahndung nach dem mutmaßlichen Gewalttäter einleiten wollte, entgegnet auf Anfrage: „Wer behauptet, dass wir ihn suchen?“

Der Mann aus Castrop-Rauxel lebt nach Angaben seines Düsseldorfer Verteidigers, Udo Vetter, derzeit bei seiner Lebenspartnerin in Münster. „Sein Name steht da sogar auf dem Klingelschild!“ Er sei aber ein freier Mann „wie Sie und ich“, dürfe auch ins Ausland reisen. Jan Schabacker, Sprecher der Polizei Münster, bestätigt, es gäbe keinerlei Meldeauflagen für den Verurteilten. Als „Gefahren abwehrende, präventive Maßnahme“ habe man aber Mitte März beantragt, Ralf H. eine elektronische Fußfessel anzulegen. „Wir halten das für ein probates Mittel. Denn unsere Gesamtbewertung seiner Vita lässt den Schluss zu, dass Herr H. auch in Zukunft Straftaten begehen könnte. Er ist ja schon früher Frauen angegangen.“

H. erschien nicht zum Anhörungstermin am 24. März

Der Betroffene musste dazu angehört werden, zum ersten angesetzten Termin am 24. März sei H. nicht erschienen, berichtete Schabacker. In diesem Zusammenhang hätten Kollegen bei H. zuhause geklingelt, ihn aber nicht angetroffen – „was jedoch völlig legitim ist“, betont der Polizeisprecher. „Der Eindruck, hier läuft ein Mörder rum, der dringend eingesperrt werden muss, ist falsch. Von dem Mann geht keine konkrete gegenwärtige Gefahr aus.“ Das Oberlandesgericht Hamm habe den Haftbefehl ja „nicht ohne Grund ausgesetzt“, sagt auch H.s Anwalt Udo Vetter.  „Die Tat liegt 30 Jahre zurück, seither hat er sich nichts zu Schulden kommen lassen.“ Allerdings hat Ralf H. wegen mehrerer Gewaltdelikte, auch gegen junge Frauen, schon im Gefängnis gesessen.

Laut Hs. Anwalt Udo Vetter hatte es offenbar "ein Zustellungsproblem" im Zusammenhang mit den Anhörungsunterlagen des Amtsgerichts Münster gegeben. Am 31. März habe es dann einen weiteren Anhörungstermin gegeben, bei dem H. in Begleitung von Vetter erschienen sei. R. habe seine Lebenspartnerin zudem jüngst bei einer kurzen Reise „in familiärer Angelegenheit“ begleitet. „Dass die Polizei deswegen glaubt, er sei auf der Flucht, finde ich skandalös“, schimpfte Vetter, spricht von einer „Kampagne“ und fragt: „Wo leben wir denn, in China?“

OLG Hamm hatte Ralf H. im Juli 2020 aus der U-Haft entlassen

„Dass mein Mandant theoretisch in Mallorca am Strand liegen könnte, fuchst die Polizei einfach“, vermutet Vetter. „Das empört vielleicht die Öffentlichkeit“, hält Polizeisprecher Jan Schabacker dagegen, „uns wurmt es nicht, wenn auf der Basis geltenden Rechts solche Entscheidungen getroffen werden.“

Das OLG Hamm hatte Ralf H. im Juli 2020 nach zwei Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen. Es fehlten die „besonderen Voraussetzungen für eine Fortdauer der U-Haft über neun Monate hinaus“. Das Verfahren hatte sich immer wieder verzögert, unter anderem weil eine Richterin erkrankte und der Prozess komplett neu aufgerollt werden musste. Da H. nach seiner Verurteilung Revision einlegte, durfte er auch im Januar das Dortmunder Gericht als freier Mann verlassen. Erst wenn der Bundesgerichtshof die Entscheidung bestätigt hat, kann der 56-Jährige zum Antritt seiner Haft geladen werden.

DNA-Analyse brachte Polizei auf die Spur von Ralf H.

Die Tat, um die es in dem Indizienprozess ging, liegt lange zurück: Am 14. Oktober 1993 soll Ralf H. die Dortmunder Schülerin Nicole Schalle auf dem Heimweg von einem Besuch bei ihrem Freund überfallen und erwürgt haben. Eine Zeitungsbotin fand die Leiche am nächsten Morgen. Eine Hautschuppe, die am nackten Unterleib des Mädchens gefunden wurde, brachte die Polizei erst Jahre später – als bessere DNA-Analysemethoden zur Verfügung standen – auf die Spur H.s. Er selbst beteuerte bis zuletzt seine Unschuld.

Die Eltern von Nicole Schalla hatten den Prozess in Dortmund vor Ort verfolgt, kamen fast an jedem Sitzungstag. Nur bei der Urteilsverkündung fehlte die Mutter: Sie lag mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus.

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