Dortmund. Seit Monaten ist es auffallend still um die rechte Szene von Dorstfeld. Der Dauerdruck von Stadt, Polizei und Initiativen zeigt Wirkung.
Dorstfeld schlägt die Augen auf, und scheinbar ist alles wie immer. Der Tedi stellt gerade die Wühltische nach draußen, der Handwerker lädt wieder neue Fenster aus seinem Kastenwagen, an der Lottostelle . . . Halt. Da fehlt doch was. Da fehlt SS-Siggi.
Früher hat der stadtbekannte Rechtsextremist vormittags immer auf einer der Bänke mitten auf dem zentralen Wilhelmplatz gesessen, umgeben von ein paar Jüngern - sie zeigten sich, und natürlich nahmen sie so den Platz symbolisch in Besitz. Doch die deutschlandweit bekannte rechte Szene von Dortmund-Dorstfeld ist angeschlagen und zeigt Auflösungserscheinungen. Den „Raumkampf“, den sie selbst ausgerufen hatte, den hat sie zunächst verloren.
„Wir wissen, dass noch welche da sind, aber das Offensichtliche gibt s nicht mehr“
„Das Problem ist nicht gelöst, aber es ist deutlich besser geworden“, sagt Ralf Stoltze (SPD), der stellvertretende Bezirksbürgermeister hier. Der 64-Jährige hat sich Jahrzehnte für Demokratie, gegen Gewalt und Rassismus eingesetzt, man hat ihm mehrfach die Reifen zerstochen, in Schmierereien bedroht, er wurde blöd angequatscht. „Das ist vorbei.“
2020 gab es keine Kundgebung, nicht eine. Die Zahl der Straftaten ging von 2015 bis 2020 von 424 auf 203 zurück, die der Gewalttaten von 49 auf 13. Und der Gedenktag für die 1938 von Nazis in Brand gesetzte Dorstfelder Synagoge fand zum ersten Mal seit Menschengedenken ohne Störungen statt. „Wir wissen, dass noch welche da sind, aber das Offensichtliche gibt es nicht mehr“, sagt Stoltze.
Verurteilte aus der Szene in zusammen 34 Jahren Haft
Die Zivilgesellschaft hat jahrelang dagegen gehalten, keine rechte Kundgebung ohne linken und bürgerlichen Gegendruck. Die Stadt selbst. Und die Polizei natürlich: Mit der eigens eingerichteten „Soko Rechts“ stand sie denselben auf den Füßen, hat von Körperverletzung bis Schwarzfahrerei jedes Delikt festgehalten.
Volksverhetzung, Drogen, Hitlergruß, Müllverstöße, Raub. „Irgendwann reichten die Päckchen auch für langjährige Haftstrafen“, sagt Polizeipräsident Gregor Lange: „Die Vorsicht in der Szene ist immer größer geworden.“ Über 60.000 Euro Geldstrafe mussten die Beteiligten zusammen zahlen, sitzen aufaddierte 34 Jahre Haft ab. Einige hinter Gittern, wie SS-Siggi, einige ausgestiegen - und die intellektuelle Führungsriege, um die 10 Mann hoch, ist nach Chemnitz gegangen.
„Biologisch unmöglich, mittelfristig breite Bevölkerungsschichten zu erreichen“
Denn, so erklärt es einer von ihnen auf einer Plattform im Netz, in Dortmund mache es „der hohe Überfremdungsanteil biologisch unmöglich, mittelfristig breite Bevölkerungsschichten zu erreichen“. Die westdeutsche Jugend und die jungen Erwachsenen seien „völlig verzogen“, auch unter dem Einfluss linksradikaler Parteien wie der Grünen.
Da erhoffen sie sich im sächsischen Chemnitz größere Erfolge. Die Stadt hat eine wachsende rechte Szene, bekannt geworden durch die Hetzjagden auf Ausländer an jenem Sonntag 2018 - tagelang diskutierte das Land, ob das Hetzjagden waren. Aber heute hat das „Bündnis Chemnitz Nazifrei“ dem Zuzug aus dem Westen auch schon angekündigt: „Wir werden ihnen die Wohlfühlatmosphäre entziehen.“
Organisationskraft der Szene geschwächt, „Soko Rechts“ bleibt erhalten
Das hatten Polizei und Stadt in Dortmund schon 2019 getan, als sie in der Straße, in der viele wohnten, die riesigen Graffiti „Nazi-Kiez“ ebenso groß übermalen ließen mit „Our colors are beautiful“ (“Unsere Farben sind schön“). „Das ging gegen ihren Machtanspruch und ihre Einschüchterungswirkung auf Dorstfeld“, sagt Lange. Als die Polizei nach Wochen der Bewachung des neuen Bildes abzog, geschah - nichts.
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„Die Organisationskraft der Szene in Dortmund ist geschwächt wie seit Jahrzehnten nicht“, sagt Lange. Das wolle er erhalten: indem die verbliebenen Rechten und eventuell nachkommende mit denselben Maßnahmen bearbeitet würden wie bisher. Die „Soko Rechts“ bleibt daher unbefristet und in voller Stärke erhalten - zunächst, muss man wohl sagen, denn wenn ein Problem gelöst scheint, bauen Behörden irgendwann die dafür aufgebauten Strukturen zurück.
Initiativen für Demokratie und Toleranz bekommen neue Räume
Auf dem Wilhelmplatz in Dorstfeld gibt es noch eine weitere Baustelle: Im früheren „Café Felix“ hängen gerade Arbeiter die Schilder mit den Kaffee-Variationen und der Limonade-Reklame ab. Der Raum wird eine Art Stadtteilladen, wo Dorstfelder Vereine mit ihren Sozialberatungen einziehen sowie Initiativen für Demokratie und Toleranz. Nicht völlig überraschend in diesem Biotop, heißt der Laden ,Wilma’ als Kontrapunkt zum Wilhelmplatz.
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„Jetzt muss man sich keine Gedanken mehr machen, ob man einen Sicherheitsdienst braucht“, sagt Stoltze, der Bezirksbürgermeister. Und verweist zugleich dankbar auf das Panzerglas: „Hier war früher ein Juwelier drin.“ Wenn Corona vorbei ist, wird Wilma öffnen. Der Raumkampf geht weiter.