Dortmund. 150.000 Fans pilgern gelockt von exklusiven Monstern zum Pokemon-Go-Fest in den Westfalenpark. Das Spiel entwickelt sich zum Wirtschaftsfaktor.
Die Profis unter den Pokémon-Go-Spielern erkennt man daran, dass sie mit dem Rücken zur Sonne stehen. „Dann heizt sich das Handy nicht so auf“, erklärt Katharina, 39, Mathematikerin aus Köln. Mit ihrer Freundin Sabrina dreht sie am Donnerstag in Dortmund Videoschnipsel für deren YouTube-Kanal zum Thema: Sabrina spielt. Oder: Wie man virtuelle Monster fängt. Tatsächlich scheinen aber auch alle anderen Besucher des Westfalenparks Poképrofis zu sein. Die Pikachu-Papp-Kappe in der Stirn, das Ladekabel zur Gesäßtasche, den Bildschirm entschlossen zwischen sich und die Welt geschoben, stößt hier dennoch keiner zusammen.
"Pokémon Go": Augen auf beim Handylauf
Für die neu Zugeschalteten müssen wir das Spiel kurz erklären: Pokémon sind wie Pumuckl. Die Monsterchen sitzen unsichtbar unter uns, weltweit platziert von einem Algorithmus, der Daten wie Bevölkerungsdichte, Wetter und Mobilfunkabdeckung miteinbezieht. Doch wer seine Umgebung mit dem Handy absucht, kann die animierten Figuren hinterm echten Baum entdecken – der Taschencomputer erweitert die Realität um eine Zeichentrick-Ebene. Wie Schmetteringsjäger bewegen wir uns durch den urbanen Dschungel. Fans schätzen den Entdeckerfaktor der virtuellen Schnitzeljagd.
Mit einem Fingerschnipp schießen wir einen Ball auf das Pumucklchen – und das Monster wandert in unsere Kartei. Je mehr, desto besser. Wichtiger noch: Je seltener das Pokémon, desto größer das Sammlerglück. Und für Spieler ist Dortmund dieses lange Wochenende an Exklusivität nicht zu überbieten. Das Pokémon-Go-Fest fand bisher nur einmal im Jahr in Chicago statt. Nun kommen erstmals kurz hintereinander Dortmund und Yokohama hinzu.
Das Konzept hat sich stark gewandelt über die Jahre, das Phänomen ist nicht kaputt zu kriegen. Die Pokémon-Sammelkarten als Mischung aus Quartett und Panini führten schon vor zwanzig Jahren zu hysterischen Zuständen auf Schulhöfen. Die digitale Variante war 2016 der weltweite Durchbruch für Augmented-Reality-Spiele. Sogar in Innenstädten campierten die Fans, wo oft seltene Monster auftauchten. Der Hype klang ab, doch Events in geschützten Bereichen erweiterten das Spiel. Die Safari-Zone-Reihe gastierte 2017 im Oberhausener Centro und im vergangenen Jahr im Westfalenpark. Doch hier war die Monsterjagd noch frei. Beim Go-Fest wird nun ein Eintrittsgeld von bis zu 35 Euro fällig – und das Spiel ist auf einen Tag limitiert. Dafür lockt ein „Jirachi“ – das gab es doch bisher nur in Chicago!
Ein Pantheon voller Kuschelmonster
Jedenfalls haben die App-Downloads kürzlich die Milliardenmarke geknackt. Und 150.000 Spieler aus aller Welt werden im Westfalenpark erwartet. Etwa so viele wie bei der Safari des Vorjahres, jedoch über vier statt zwei Tage verteilt, was Hoteliers, Gastronomen und Einzelhändler in Dortmund an diesem fußballfreien Wochenende jubeln lässt, wie Sigrun Späte von Dortmund Tourismus berichtet. „Es sind mehr internationale Gäste als Deutsche. Australier, Südafrikaner, Chilenen …“ Ihr Kollege Robert Litschke von der Wirtschaftsförderung ergänzt: „Leute die Dortmund vielleicht noch nicht kannten, nehmen ein positives Bild mit nach Hause. Es ist vergleichbar mit dem Kirchentag.“
Allerdings erinnert der Poképantheon mit seinen über 800 Monstern in unzähligen Glitzer- und Farbvarianten eher an den Hinduismus. An der Tauschbörse laufen sie mit Schildern herum: Suche Tobutz, biete Vesprit. „Denn den gibt’s nur in den USA“, sagt Suzanne Smith, 33, Studentin aus dem Kreis Offenbach. Sie hat gerade einen Spieler aus Seattle getroffen zum Tausch. Länderspezifische Pokémon sind auch beliebte Urlaubsmitbringsel. Was zu Sätzen führt wie: „Wir brüten auch gerade ein mexikanisches Ei aus.“
Können die Mobilfunkmasten bitte stehen bleiben
Die Probleme aus dem Vorjahr mit langen Schlangen und Netzzusammenbrüchen scheinen gebannt. Spielbetreiber Niantic hat im Westfalenpark zusätzliche Mobilfunkmasten installiert. Und spielt sogar mit Lokalkolorit. Eine der vier Themenarenen ist die Steel factory –man kann sich setzen auf überdimensionale Schraubmuttern, die Wiese ist gesprenkelt mit Käfigen voller geheimnisvoller Metallteile (nur wenn man hinschaut, ist es Schrott). Vor allem aber hat sie hier Pokémon vom Typ Stahl platziert. Die exklusiven Biester finden nur die zahlenden Kunden. Aber in der ganzen Stadt wimmelt es nun von Fans und Viechern. Ein Pokémon wurde sogar in der Blutspende des Klinikums Dortmund entdeckt. Mauzi wartet auf dem Patientenstuhl – und sieht auch mauzi aus.