Dortmund. . Die Energiewende soll in Dortmund Tempo bekommen– mit 1,2 Millionen Volt. Ein neues Testzentrum entwickelt Stromleitungen für die Langstrecke.
„Das ist wirklich wichtig für die Energiewende“, sagt Ursula Gather, die Rektorin der Technischen Uni Dortmund. Vor ihr vier Spaten, hinter ihr ein Baufeld mit zwei futuristisch funkelnden Türmen, die der Laie als Trafos bezeichnen darf. „Wichtig“ – darauf können sich heute alle einigen. Denn hier, nahe der A 40 bei Dortmund-Barop, soll ein Testzentrum entstehen, um bessere „Energie-Autobahnen“ zu entwickeln – neuartige Leitungen, die Nordsee-Windkraft mit weniger Verlusten nach Bayern schicken. Doch trotz dieser Wichtigkeit war die Standortsuche keineswegs einfach.
„Wir könnten schon vier Jahre weiter sein“, sagt Projektingenieur Joachim Berns. Dortmund-Wambel war zu weit draußen (2011). Ein Versuch am umstrittenen Eon-Kraftwerk in Datteln wurde eingestellt (2012). In Dortmund-Kruckel (2013) waren die Nachbarn dagegen, und als es Flächen an der Uni gab (2014), begann der Behördenlauf. Doch alle Genehmigungen sind erbracht an diesem sonnigen Montag, und Dortmund freut sich über seinen Beitrag zur Energiewende. Spaten in die Erde. Bis Dezember soll das neue Zentrum für fünf Millionen Euro stehen.
Wenig Schwund auf viele Kilometer
Bei der Entwicklung von Technik „muss es schnell gehen“, so Berns. Die „Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung“ (HGÜ), um die es in Dortmund geht, gibt es schon lange, aber sie soll besser gemacht werden, damit die Energiewende gelingen kann. Wenn in Bayern die Sonne scheint, kann der überschüssige Strom nach Hamburg fließen, wenn im Norden die Windräder rotieren, geht er nach München. Mit HGÜ verliert man auf 1000 Kilometer theoretisch drei Prozent der Energie. Bei einer normalen Wechselstromleitung ist der Schwund auf 100 Kilometern fast doppelt so hoch.
Wind und Sonne liefern zeitlich und regional unterschiedlich viel Strom. Das macht das Netz instabil. HGÜ aber funktioniert wie eine Schleuse im Rhein-Herne-Kanal: Sie kann zwei Netze mit verschiedenen Spannungen verbinden. Zudem verbraucht HGÜ weniger Platz und Material als herkömmliche Leitungen. Darum ist diese Technik die Grundlage von Zukunftsvisionen wie dem europäischen Supernetz oder „Desertec“, der Leitung zur Sahara-Sonne. Allerdings kann HGÜ bisher nur zwei Punkte verbinden, wie man ein richtiges Netz baut, daran tüfteln die Ingenieure noch.
Höchstspannung kommt auch bei drei Projekten des Dortmunder Netzbetreibers Amprion zum Einsatz, etwa bei Ultranet aus dem Umfeld Kölns bis Baden-Württemberg. Sie rüstet bestehende Masten mit 380 000 Volt auf und soll 2021 stehen. Die modernste fertige Trasse über 2200 Kilometer in China arbeitet mit 800 000 Volt. Im neuen Dortmunder Testzentrum dagegen herrscht Höchstspannung: 1,2 Millionen Volt! Joachim Berns schätzt, dass der Energieverlust so um zehn Prozent gesenkt werden kann. Das hat aber noch nie jemand versucht. Es gibt noch keine Kabel dafür, keine Trafos, keine Isolatoren, ja, sogar neue Öle braucht man für diese Spannung.
„Man kann kein Kabel verlegen, das man nicht getestet hat“
Sie existieren bislang nur als Pläne oder Prototypen. „Man kann aber kein Kabel verlegen, das man nicht getestet hat“, sagt Berns. Und das machen Partner aus der Wirtschaft – zum Beispiel Amprion – und die Wissenschaftler der Uni nun in Dortmund. Sie setzen besagte Kabel zum Beispiel ein ganzes Jahr lang unter Höchstspannung. Draußen lässt Amprion testen, wie Isolatoren aus neuem Material auf Verschmutzung reagieren. Und die Halle wird bei Versuchen verdunkelt, so dass jede Entladung nicht nur zu messen, sondern auch zu sehen ist.
„In eineinhalb Jahren“, hofft Berns, könnten Produkte marktreif sein. Sie werden mit Höchstspannung erwartet.