Eigentlich war der Futtermittelhändler aus Dortmunds ländlichem Umfeld ein Mann wie ein Baum. Krankheiten wollte er sich nicht erlauben. Sein Unwohlsein schob er auf das Wetter: zu warm, zu kalt, zu nass... Und ins Krankenhaus mochte er schon gar nicht.

Doch dort stellten die Ärzte sehr viel mehr fest, als sich Hans-Heinrich K. eingestehen konnte und wollte: Er war orientierungslos und machte einen müden, abgespannten Eindruck. "Sein Allgemeinzustand war sehr schlecht und er konnte nicht mehr alleine laufen", erinnert sich Prof. Michael Schwarz, Direktor der Neurologie am Klinikum. Weiter stellten die Ärzte Sehstörungen, Schreckhaftigkeit und feine Muskelzuckungen fest, die durch Berührungen noch verstärkt wurden. Epileptische Anfälle im Miniformat sozusagen. "Mit dem Patienten ging es rapide bergab", so Schwarz. "Er konnte im Verlauf keine willkürlichen Bewegungen mehr ausführen, sondern reagierte nur noch automatisch mit Reflexen."

Futter für Kleintiere hatte der 66-Jährige verkauft. Wobei er eine oft belächelte Marotte pflegte: Er kostete gelegentlich eine Handvoll der Lieferungen um zu prüfen, ob das Futter auch frisch war oder die untergemischten Nüsse ranzig schmeckten.

"Wir wussten aus seiner Vorgeschichte, dass der Patient, der schwere Futtersäcke schleppte, jahrelang über Wirbelsäulenprobleme geklagt hatte", sagt der Neurologe. Sein Hausarzt habe ihm empfohlen, täglich etwas Gelatine einzunehmen, um die Bandscheiben zu stärken. Doch der Mann kaufte keine Gelatine. Jede Woche fuhr er in die Metzgerei und holte ein paar Kilo Rinderknochen, die er zu einer deftigen Brühe auskochte. Davon trank er fast täglich eine Portion.

Hans-Heinrich K. kam in den 90-er Jahren ins Krankenhaus. In einer Zeit, als BSE-kranke Rinder über die Mattscheibe wankten und die meisten Menschen auf dem Speisenplan das Steak gegen Hähnchenbrust austauschten. Weil vermutet wurde, dass durch Fleisch von Tieren, die an Rinderwahnsinn erkrankt waren, die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung hervorgerufen werden könnte. Bei Hans-Heinrich K.'s Vorgeschichte lag es nahe, dass die Ärzte den Rinderwahnsinn in Betracht zogen. Zum einen dachten sie an die ausgekochten Rinderknochen, zum anderen an die Futterverkostung. Denn damals hieß es, Futter sei mit gemahlenen Kadavern kranker Tiere gestreckt worden.

Hans-Heinrich K. lag einige Wochen in der Neurologie bis er starb. Mit der Zustimmung seiner Frau wurde sein Leichnam obduziert. Der Pathologe stellte ausdrücklich fest, dass der Patient an einem "ganz normalen Creutzfeldt-Jakob" litt und nicht an der-neuen Variante, die in England beobachtet wurde. Creutzfeldt-Jakob und die neue Variante sind artverwandte Krankheiten, bei denen atypische Eiweiße im Gehirn nachgewiesen werden. Sie lösen einen biochemischen Prozess aus, der zur Degeneration des Gehirns führt. Creutzfeld-Jakob tritt überwiegend bei Menschen von über 60 Jahren auf. In Deutschland werden jährlich rund 80 Fälle gezählt. Die neue Variante zeigt Gemeinsamkeiten mit BSE, wurde aber bisher in Deutschland nicht beobachtet.

"Wir sind nicht sofort auf Creutzfeldt-Jakob gekommen", räumt Schwarz ein. Die BSE-Hysterie habe auch in der Klinik Eindrücke hinterlassen. Erst die typischen Veränderungen im EEG in Verbindung mit den Muskelzuckungen und dem rasanten Verlauf der Krankheit ließen konkret auf Creutzfeld-Jakob schließen.

Für den Patienten machte es keinen Unterschied. Beide Varianten verlaufen tödlich. Letzte Sicherheit kann nur der Pathologe geben.