Der Mensch ist ein Elefant. Manch Ereignis hat er aufgrund seiner Wucht und Tragweite auch Jahre später noch präsent, mitunter sogar für immer. Eine Geburt, der erste Kuss, vielleicht auch die Hochzeit: Glückliche Momente wird man wohl immer erinnern und auch die wirklich traurigen Nachrichten nie vergessen. Vieles, das zwar verschwimmt mit der Zeit – manch ein Tag jedoch, der hat sich noch weit tiefer eingebrannt ins Gedächtnis als übergeschwappte kochende Milch auf der alten Herdplatte.

Der 31. August 1988, für viele wohl nur ein ganz normaler Mittwoch, auch wenn das Jahr ein Schaltjahr ist. In Castrop-Rauxel jedoch, vor allem im „Fotoalbum des Lebens“ derjenigen, die seinerzeit in Bladenhorst für Volvo arbeiten, wird dieser Tag zum „schwarzen Mittwoch“, zum Tag der letzten Schicht. Denn nach erfolgreichen 17 Jahren am Ort gehen in der Niederlassung des schwedischen Autoherstellers im Regionallager Nord die Lichter für immer aus. Volvo Deutschland bleibt kompromiss- und auch gnadenlos, so hart wie der Stahl, der den Autos nach und nach ihr gar unverwüstliches Image gibt. Das Aus für das Werk am Westring ist beschlossene Sache, und dass über 100 Mitarbeiter in die Röhre schauen für die Vorstandsetage letztlich kaum der Rede wert.

„Wirtschaftliche Erwägungen“

Wie immer sind es natürlich die „wirtschaftlichen Erwägungen“, die die Hauptrolle gespielt haben sollen. Zu teuer, nicht rentabel, heißt es. So kurz, so schnöde.

Trauer, Betroffenheit und vor allem die Wut vor Ort sind enorm. Nachdem die Geschäftsleitung die Pläne Ende Januar eher unfreiwillig öffentlich machen muss, ist ein wild entschlossener Arbeitskampf entbrannt. Gewerkschaften, Betriebsräte, natürlich auch Castrop-Rauxels rühriger Bürgermeister Hugo Paulikat – sie alle versuchen alles, letztlich aber umsonst.

Während die Menschen sich über das Ende des 1. Golfkriegs freuen und auch in Castrop wie im gesamten Ruhrgebiet natürlich noch immer heiß diskutieren über das Gladbecker Geiseldrama, das zwei Wochen zuvor unter den bekannt dubiosen wie blutigen Umständen geendet hatte, trifft die letzte Schicht am Westring die Betroffenen wie ein linker Haken in die Magengrube.

Das Thema ist durch, das Gelände, dessen Firmenadresse einst eigens nach dem schwedischen Volvo-Chef Gunnar Engellau benannt worden war, wird nach und nach geräumt. Manche wechseln innerhalb der Firma Volvo, andere hören auf oder gehen ganz weg. Die Abfindungen, die im Nachhinein eine honorige Sozialverträglichkeit widerspiegeln sollen, passen zwar gut in die eine oder andere Lebensplanung, letztlich aber ist das auch Geld, das eigentlich kaum jemand wollte. Viele, die viel lieber geblieben wären.