Castrop-Rauxel. .
Lange bevor die trommelnde Samba-Truppe „Buena Vista Rio“ nach kurzem Demo-Marsch mit den Gewerkschaftern den Ickerner Marktplatz entert, um die diesjährige Maikundgebung zu starten, sitzt Martin Emmler auf einer Bank am Rande und schaut dem Aufbautreiben zu. Der ehemalige Schlosser auf Prosper Haniel war zuvor noch mit Enkelin Mia mit dem Rad unterwegs, nutzte den blühenden Frühlingstag. Doch die Elf-Uhr-Marke hat er sich in all den Jahren noch nie entgehen lassen. „Die Themen sind brandaktuell“, findet er, „sie gehen uns alle an, deshalb bin ich hier“. Rente, Mindestlohn, sichere Arbeitsplätze. Er kann ein Lied davon singen.
Mit einem 400 Euro-Job ist er gezwungen, seine kleine Rente aufzubessern. Das geht so einigermaßen, „aber was ist mit unserem Nachwuchs?“ Der 57-Jährige sieht deren Zukunft nicht gerade rosig: „Viele meinen, sie haben einen Job und alles ist gut, aber dann geht es plötzlich ruck-zuck.“ Emmler zuckt mit den Achseln, und dann sind sie auch schon da. Der Rhythmus ist gut, ja fröhlich stimmend, passt zum blauen Wölkchenhimmel. Doch das soll sich schnell ändern. Fast halb voll ist der Platz, die Biertischgarnituren sind besetzt, es stehen Menschentrauben um die Infostände von verschiedenen Organisationen und Parteien, als vorne Bürgermeister Johannes Beisenherz das Bild der zwei Seelen in seiner Brust bemüht. Trauer und Freude sind es, die ihn heute erfüllen.
Freude über seine Partei, die alte Tante SPD, die 150 Jahre stolz die rote Fahne hoch hält. Ja, und schwer betrübt ist er um das, was in der Nachbarstadt Bochum samt den Auswirkungen geschieht. „Dieser Tag ist überschattet von der wohl endgültigen Schließung von Opel.“ 4200 Menschen seien betroffen, davon 300 allein in Castrop-Rauxel. „Das ist ein weiteres fatales Signal für unsere vom Strukturwandel gebeutelte Stadt.“
Machtlos sei man den großen Konzernen ausgeliefert, was fassungslos mache. Er bricht eine Lanze für den Betriebsrat, der in den letzten Tagen auch Kritik aus der Belegschaft zu seinem Verhalten verspürt. „Nein“, meint Beisenherz, „der Betriebsrat hat sich bis zuletzt eingesetzt“. Ihm nun mangelndes Verhandlungsgeschick vorzuwerfen, sei kaum zu verstehen. Er habe vollstes Verständnis dafür, „kein Lemming zu sein, der sich fürs Kapital in den Abgrund stürzt“. Von „Chaos bei Opel“ spricht DGB-Redner Dirk Neumann. Dem Konzern mit der „Fratze des Raubtierkapitalismus“ sei egal, was mit den Kollegen ist. Die Forderung an die Politik könne deshalb nur lauten: „Lasst die Leute nicht allein auf der Suche nach sicheren Arbeitsplätzen.“