Mehrmals im Monat bitten vergewaltigte Frauen im Rochus-Hospital um Hilfe. Das erklärte Dr. Michael Glaßmeyer, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde, diese Woche unserer Zeitung. Eine erschreckend hohe Zahl -- die aber nur die Spitze des Eisberges ist. Denn die Dunkelziffer – die Zahl der Frauen, die nach einer Vergewaltigung weder ein Krankenhaus aufsuchen noch Anzeige bei der Polizei erstatten – ist weitaus höher. „Wie hoch genau, können wir allerdings nicht beziffern“, sagt Ramona Hörst, Sprecherin der Polizei Recklinghausen.

2011 wurden in Castrop-Rauxel 13 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht, in vier Fällen wurden die Frauen von Fremden auf der Straße überfallen und vergewaltigt, die anderen Opfer von Familienangehörigen oder Bekannten. Dass man im Schnitt eher seltener von einer Vergewaltigung hört und liest, liege daran, „dass wir oft Abstand davon nehmen, Vergewaltigungen zu veröffentlichen, wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht“, erklärt Hörst. „Wir prüfen sehr genau, ob diese Fälle wirklich für die Öffentlichkeit von Interesse sind.“

Zu den der Polizei bekannten Fällen von Vergewaltigung kommen allerdings noch die, die nicht zur Anzeige gebracht wurden. Vor allem wenn die Vergewaltigung in der Beziehung stattgefunden hat, „schaffen es viele Frauen aus Angst vor dem Partner oder der Familie nicht, eine Vergewaltigung bei der Polizei zu melden“, sagt Katrin Lasser vom Frauenhaus in Castrop-Rauxel. Dort wurden im vergangenen Jahr 77 Frauen aufgenommen nachdem sie Gewalt erfahren hatten, mindestens elf davon wurden auch sexuell missbraucht. „Es werden sicherlich noch mehr gewesen sein. Doch die Frauen brauchen oft Zeit und sehr viel Vertrauen, bis sie erzählen, dass sie nicht nur geschlagen, sondern auch vergewaltigt wurden“, sagt Lasser. Vielen Frauen werde auch erst im Nachhinein und nach vielen reflektierenden Gesprächen klar, dass sie tatsächlich Opfer einer Vergewaltigung wurden.

Angst vor einer Aussage

Für die Mitarbeiterin des Frauenhauses ist die Aussage von Michael Glaßmeyer deshalb realistisch, denn sie weiß, „dass viele Frauen nach einer Vergewaltigung zunächst einmal einen Arzt aufsuchen und nicht als erstes zur Polizei gehen.“ Denn die Scham, eine sehr detaillierte Aussage zu machen, sei bei den Frauen sehr groß, sagt Lasser. „Da bedarf es sehr viel Sensibilität.“ Oft sind die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses deshalb dabei, wenn die Frauen bei der Polizei aussagen.

Die Krankenhäuser sind im Übrigen nicht dazu verpflichtet, die Polizei über einen Vergewaltigungsfall zu informieren, wenn die Frauen es nicht möchten. „Allerdings gibt es die Möglichkeit einer anonymen Spurensicherung“, sagt Ramona Hörst. Somit können Beweise gesichert werden, falls die Frau nach Wochen oder Monaten doch noch Anzeige erstatten möchte.