„Das ist die geilste Deko, die ich je bei einer Lesung hatte“, freut sich Joe Bausch, während er auf der kleinen Bühne der Justizvollzugsanstalt (JVA) Meisenhof aus dem Nähkästchen plaudert. „Durch die Deko“, er meint damit Zelleneinrichtung, zwischen der er steht, „können Sie sich das, was ich aus meinem Gefängnisalltag erzähle, bestimmt noch besser vorstellen“, so der Anstaltsarzt der JVA Werl. Den meisten Gästen ist er jedoch nicht von dort, sondern aus der Krimiserie „Tatort“ bekannt, wo er als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth ermittelt. In seinem Buch „Knast“ berichtet er von seinen Erlebnissen als Gefängnisarzt.
Ohnmachtsgefühl der Insassen
„Schlüssel haben einen besonderen Symbolwert“, so Bausch. Vor allem in einem Hochsicherheitsgefängnis wie Werl sei fast nichts im Leben der Insassen selbstbestimmt. „Für alles, was sie außerhalb der Zelle tun wollen, brauchen sie jemanden, der einen Schlüssel hat. Ich habe mal einen der Beamten gebeten, zu zählen, wie häufig er pro Schicht Türen öffnet oder verschließt – er kam auf 874 Mal“, erzählt Bausch und verweist auf das daraus resultierende Ohnmachtsgefühl der Insassen. Lächelnd erinnert er sich an den Brief einer seiner Patienten kurz nach dessen Entlassung. „Er schickte mir ein Foto, das ihn mit einem Schlüssel in der Hand und stolz wie Otto vor einer Wohnungstür zeigte. Darauf stand: ‚Hallo Doc, das ist die erste Tür, die ich nach 22 Jahren selbst aufgeschlossen habe.‘“
Bausch wirkt gerührt, als er davon erzählt. Der 59-Jährige ist Gefängnisarzt mit Leib und Seele. „Der Knast, damals noch Zuchthaus genannt, hat mich schon immer fasziniert“, verrät er. Im Kapitel „Mein erstes Mal“, berichtet er lachend davon, wie er als Student eine Geldstrafe nicht bezahlte, um zehn Tage im Dorfknast verbringen zu können. Die Spendierhosen seiner Mutter hinderten ihn daran. Zwölf Jahre später sei er schließlich, nach einigen Umwegen, in Werl gelandet.
Als Arzt, so Bausch, sei er aufgrund seiner Schweigepflicht auch Vertrauensperson für seine kriminellen Patienten. „Trotzdem herrscht im Gefängnis eine gewisse Kultur des Misstrauens.“ Obwohl er noch keine Sekunde seiner 26 Berufsjahre Angst gehabt habe, behalte er eine „professionelle Wachsamkeit“ bei. Bausch: „Bei der Arbeit im Gefängnis lauern viele Fallstricke.“ Humorvoll und dennoch mit großem Ernst berichtet er von den Eigenheiten der Insassen, den Problemen in Gemeinschaftszellen und Stereotypen.
Er blättert durch sein Buch, bleibt hier und da hängen und liest ein Stück vor. Mit vielen Anekdoten, aber auch zahlreichen Daten und Fakten zu Deutschlands Gefängnissen möchte er seinen Lesern und Zuhörern vor allem eines mit auf den Weg geben: „Der Knast steht nicht am Ende der Gesellschaft, sondern in deren Mitte.“