Der Leserbeirat war zu einem Rundgang in der Justizvollzugsanstalt Meisenhof eingeladen.Gefangene leben in acht Quadratmeter großen Zellen oder in Gemeinschaftsräumen.
Helmut Sauer, Leserbeirat und gleichzeitig Pressesprecher der JVA Meisenhof, geht im Gefängnis ein und aus. Damit ist er einer der ganz wenigen, die das tun und dürfen. Die Häftlinge sehen die Freiheit nur ganz selten. Für die meisten Menschen ist ein Leben im Gefängnis unvorstellbar. Der Leserbeirat hatte die seltene Möglichkeit, einmal einen Blick hinter den Gefängniszaun zu werfen.
Gefangene aller Schattierungen sitzen hier – im offenen Strafvollzug – den Rest ihre Strafe ab, bevor sie wieder entlassen werden. „Es sind Mörder dabei, Kleinkriminelle, auch Terroristen hatten wir schon“, macht Sauer die Bandbreite deutlich. „Sexualstraftäter werden hier aber nur in Ausnahmefällen untergebracht, wenn wir absolut sicher sind, dass sie nicht rückfällig werden. Mitten in einem Wohngebiet wäre das sonst eine Bombe“, macht Sauer deutlich, der seit 38 Jahren im Meisenhof zuhause ist, oder sagen wir in diesem Fall besser „beschäftigt“.
Sieben Euro Tageslohn
Rund acht Monate leben die Gefangenen durchschnittlich im Meisenhof, die wenigsten gehen mittlerweile extern arbeiten, obwohl sie gerne würden, aber es gibt zu wenige Angebote draußen. Ein Teil verdient sein Geld innerhalb der Gefängnismauern, in der Schreiner-, Elektro- und Metallwerkstatt. Nicht viel ist das, rund sieben Euro pro Tag. Der Meister dort ist der Top-Verdiener und geht mit 350 Euro im Monat – normalerweise würde man sagen – nach Hause.
Die Häftlinge sind in Einzelzellen oder Mehrfachräumen untergebracht, und hier sieht es nicht gerade gemütlich aus. Acht Quadratmeter misst die Zelle mit dem Metallbett, die wir besichtigen dürfen. Ein freundlicher Gefangener gewährt uns Einblicke und macht Platz für die leicht verunsicherten Besucher. Die Fünf-Mann-Zelle beherbergt neben Stockbetten in dem kahlen, weiß getünchten Raum und einem Fernseher nicht weiter als einen großen Kalender an der Wand, der wohl sagen will: Tempus fugit – die Zeit vergeht.
Weil es nicht für alle Insassen Einzelzellen gibt, stehen viele Gefangene auf einer Warteliste, außer: Sie können bezahlen. Dann gibt’s den „Luxus“, der hier wirklich in Anführungszeichen gehört, zu mieten, für 200 Euro im Monat. Ist das gerecht? „Wieso nicht? Manche Verurteilte kommen hier mit dem Ferrari vorgefahren, warum sollen sie keine Miete bezahlen? Das entlastet doch den Steuerzahler“, verteidigt Sauer das System.
Viele seiner „Gäste“ kämen aus problematischen Verhältnissen, manche hätten nicht einmal die Möglichkeit, die vom Richter angeordnete Geldstrafe wegen eines Vergehens zu bezahlen und müssten sozusagen aus Armut hinter Gitter. „Ersatzfreiheitsstrafe“ nennt sich so etwas. Und angesichts des geringen Einkommens der Betroffenen sind auch die anzusetzenden Tagessätze entsprechend gering: zehn Euro am Tag. Für 1000 Euro Strafe geht’s dann schon mal über drei Monate in den Bau.
„Ein Teil der Gefangenen hat lange in der Prärie gelebt“, beschreibt Sauer ein weiteres Phänomen, das Außenseiter besser als „Obdachlosigkeit“ kennen. „Die müssen sich erst einmal an normale Tagesabläufe gewöhnen, an Strukturen. Ein Großteil dieser Häftlinge saniert hier auch seine Gesundheit“.
Ein besonders herzliches Verhältnis wird im Meisenhof erwartungsgemäß nicht gepflegt, das merken die Besucher beim Rundgang. Aber auch kein besonders schlechtes, wie Justizvollzugsbeamtin Marina Voda in Hafthaus Nummer 1 zu berichten weiß: „Natürlich werde ich ab und zu mal blöd angemacht, aber nicht weil ich eine Frau bin, das passiert Männern auch.“
Helmut Sauer fällt beim Thema „Chemie“ zwischen Beamten und Gefangenen eine Geschichte ein, die geradezu sentimental klingt. Die Geschichte von dem Mann, der sich verspätet zum Haftantritt meldete, ausgerechnet am 24. Dezember, an Heiligabend. Er suchte wohl so etwas wie ein Zuhause, das er nirgendwo finden konnte. „Wir haben ihm Kuchen und Braten in seine Einzelzelle gebracht, und der Mann hat immer wieder bitterlich geweint.“