Castrop-Rauxel. . Kasper (19) lebt seit Jahren mit der Modedroge Crystal. Sein Körper ist kaputt, seine Hoffnung auch. Jetzt will er sich einer Therapie unterziehen. Ein Erfahrungsbericht.
Kasper ist 19. Wer ihn trifft, glaubt das aber nicht, denn sein Gesicht ist vernarbt wie das eines 70-Jährigen. Seine Augen müssen mal strahlend gewesen sein, heute erzählen sie eine trübe Geschichte. „Crystal hat mir das Gehirn weggepustet“, sagt Kasper.
„Crystal“ oder „Methamphetamine“, die neue synthetische Modedroge, die viel stärker und zerstörender wirkt, als herkömmliche Amphetamine, die auf dem Vormarsch ist, Ecstasy und Kokain abzulösen: Immer mehr junge Menschen geraten in ihre Abhängigkeit. Dass Kasper heute hier ist in der Drogenberatung des Kreises Recklinghausens, die auch für Castrop-Rauxel zuständig ist, verdankt er einem Freund, der ihn überredet hat, sich helfen zu lassen. Dass Kasper natürlich nicht sein richtiger Name ist: geschenkt. Sein Schicksal steht beispielhaft für immer mehr Schicksale der Partygeneration.
Wie alles begann? „Mit 13“, erzählt Kasper. „Ich war mit einem Freund auf ‘ner Party. Da waren alle älter als ich, und plötzlich zog einer dieses Pulver aus der Tasche und streute es auf den Tisch. ,Hey, Du willst doch auch gut drauf kommen, oder?‘ Einer rollte ein Stück Papier zusammen und hielt es mir hin. ,Durch die Nase hochziehen’, sagte der. Als ich das Zeug geschnieft hatte, ging das mit dem Kribbeln los. Meine Hände zitterten.“ Ein Trip, der stundenlang anhält. „Ich habe noch nie so gefeiert. Ich war so gut drauf, ich dachte, ich könnte alles, alles war geil, alles war megageil, da gab es nichts, was nicht ging“, erinnert sich Kasper.
Bis er am nächsten Nachmittag wieder nüchtern wurde. „Da war klar: Das will ich nochmal.“ Nochmal und nochmal und nochmal. Was als Party angefangen hatte, wurde zur Sucht.
„Metamphetamine machen nach extrem kurzer Zeit abhängig“, weiß Peter Appelhoff von der Drogenberatung Recklinghausen. „Sie sind noch viel aggressiver als Amphetamine, das gilt für ihre Wirkung, aber auch für ihr Suchtpotenzial.“ Dass die Fälle von Metamphetamin-Sucht zunehmen, kann er aus seiner Arbeit bestätigen. Aber auch, dass sich die Einstellung der Konsumenten zur Droge verändert hat. „Früher wurde sehr gezielt konsumiert. Der Konsument wusste genau, welche Droge er konsumierte und warum.“
Cannabis sei in den 70ern klar einer Szene zugeordnet gewesen, ebenso wie Ecstasy in den 90er Jahren. „Da wurde Ecstasy genommen und sonst nichts. Wer dazu gehören wollte, der nahm Ecstasy. Das gehörte sozusagen zum Ritual.“ Heute seien die Konsumenten wahlloser, risikobereiter, kritikloser. „Da wird alles genommen, Hauptsache, es knallt, und man kann Party machen.“ Das Problem sei auch, so Appelhoff, dass bei synthetischen Drogen wie Amphetaminen und Metamphetaminen die Zusammensetzung kaum kontrolliert werden könne. „Da kann einem alles Mögliche angedreht werden.“ Und: Die Konsumenten griffen heute viel öfter zu mehreren Drogen gleichzeitig. „Da wird eine Pille geschluckt, Alkohol getrunken und dazu noch gekifft. Das hat sich auch geändert.“
Kasper ist jetzt so weit, dass er sich einer Therapie unterziehen will. Seine Haut ist von Akne übersät, sein Erinnerungsvermögen so gut wie abgestorben. „Ohne das Zeug kann ich mich nicht mehr konzentrieren“, beschreibt der 19-Jährige. „Ich kann mir einfach nichts mehr merken.“ Was er sich für die Zukunft wünscht? „Ich möchte loskommen davon. Und ein normales ruhiges Leben führen.“
Zahl der Amphetamin-Konsumenten steigt
Immer mehr Menschen konsumieren Amphetamine bzw. Metamphetame, zu denen auch die Modedroge „Crystal“ gehört. Im Kreis Recklinghausen hat sich die Zahl in den letzten Jahren stetig erhöht, „im Moment liegt sie bei sieben Prozent“, sagt Peter Appelhoff, Leiter der Drogenberatung Recklinghausen.
Insgesamt seien im Jahr 2011 695 Klienten beraten worden. Davon sei über die Hälfte hauptsächlich von Opiaten abhängig, um die 25 Prozent von Cannabis. Das Alter der Konsumenten von Amphetaminen liegt nach Aussage des Fachmannes bei „um die 20. Aber es gibt auch viel jüngere und viel ältere Konsumenten, das lässt sich gar nicht so genau einschränken.“
Die synthetische Droge Crystal ist vor allem in Bayern auf dem Vormarsch. Hergestellt wird sie meist in Tschechien. „Aber bei der Zusammensetzung muss man sehr vorsichtig sein“, weiß Peter Appelhoff.
„Wenn ein Dealer etwas verkaufen will, und man fragt ihn nach Crystal, würde er einem alles dafür verkaufen.“ Darum sei die Kritiklosigkeit der Konsumenten auch so gefährlich: „Wer nicht weiß, was er nimmt, kann auch die Folgen gar nicht abschätzen. Das kann tödlich enden.“
Modedroge Crystal
Crystal – benannt nach seiner kristallinen Struktur – funkelt, wenn Licht darauf fällt. Durch die Nase inhaliert, tritt die Wirkung von Crystal – auch als „Crystal Speed“ oder „Crystal Meth“ auf dem Markt - bereits nach fünf bis zwanzig Minuten ein und hält 20 bis 30 Stunden an.
Crystal ist wegen seiner ausgesprochen hohen Giftigkeit für die Nervenzellen vermutlich die gefährlichste unter den aktivierenden illegalen Drogen. Wenn Crystal außerdem mit anderen Drogen konsumiert wird, um nach einem Rausch wieder „runter“ zu kommen, ist dies eine besonders riskante Belastung für den Organismus.