Castrop-Rauxel. . Kadriye Öz und Matthias Schäfer sprechen mit ihrem ambulante Pflegedienst IP Integrative Pflege gezielt auch Menschen mit Migrationshintergrund an. Durch ihre türkischen Wurzeln kann Kadriye Öz Barrieren abbauen.

Sie kamen, um zu arbeiten, um Geld für die Familie zu verdienen. Ein paar Jahre sollte das so gehen, dann wollten sie zurück in die Heimat. Aus den Jahren wurden schnell Jahrzehnte, der Weg zurück – zumal für immer – erwies sich nicht immer als der beste.

Heute ist die erste Generation der Gastarbeiter um die 70 Jahre alt, nicht wenige von ihnen sind mittlerweile pflegebedürftig. Für sie liegt die Hürde, ihre Pflege in fremde Hände zu legen, mitunter besonders hoch: Sprachschwierigkeiten sind das eine, kulturelle Unterschiede und religiöse Gebräuche das andere.

Nur zu gut weiß Kadriye Öz das. Die 35-jährige Castrop-Rauxelerin hat selbst türkische Wurzeln und bringt ihr Wissen nun beim ambulanten Pflegedienst IP Integrative Pflege ein, den sie 2008 zusammen mit ihrem Geschäftspartner Matthias Schäfer gründete. Sie boten von Anfang an gezielt auch Migrantenpflege an – und stießen damit in eine Marktlücke. Rund 30 Prozent ihrer heutigen Patienten haben Zuwanderungsgeschichte, berichtet Matthias Schäfer.

„Die türkischen Gastarbeiter waren mit der Vorstellung gekommen, hier ein paar Jahre lang Geld zu verdienen und dann zurückzugehen“

Und die Nachfrage ist ungebrochen. Kadriye Öz erklärt die Entwicklung so: „Die türkischen Gastarbeiter waren mit der Vorstellung gekommen, hier ein paar Jahre lang Geld zu verdienen und dann zurückzugehen. Aber drüben ist niemand, der sie betreuen könnte, deshalb bleiben sie hier.“ Das Modell Großfamilie aber, in dem die Jungen die Alten pflegen, ließe sich in Deutschland nicht leben, sagt Kadriye Öz, weil zumeist alle der nachfolgenden Generation arbeiten gehen müssten.

Führt also bei Pflegebedürftigkeit irgendwann der Weg nicht mehr vorbei an Pflegedienst oder gar am Altenheim, wissen oft viele Migranten nicht um die bestehenden Angebote. Das Sprachdefizit ist eine Ursache, ein anderes Medizinverständnis ein anderes, hat Kadriye Öz die Erfahrung gemacht. „In der Türkei ist das Gesundheitssystem ein völlig anderes, Pflegeheime etwa gibt es so gut wie gar nicht“, sagt die 35-Jährige.

Zudem sei der Umgang mit den eigenen gesundheitlichen Beschwerden kulturell bedingt ein anderer, sagt die Pflegedienstleiterin und erklärt: „Viele Muslime nehmen ihre Krankheit nicht ernst: Sie denken ‘Wenn ich heute keine Schmerzen hab, muss ich auch keine Tabletten nehmen’“.

Plan von der Rückkehr aufgegeben

Gebrechlich und hilfsbedürftig geworden, hätten viele Einwanderer der ersten Generation ihre Pläne von der Rückkehr nach Hause an den Nagel gehängt, sagt Kadriye Öz. Das deutsche Gesundheitssystem sei einfach besser, die Versorgung umfassender.

Für deutsche Pflegekräfte aber tue sich manche Stolperfalle auf, wenn sie in einer muslimischen Familie eingesetzt werden, so Öz. Zum Beispiel die Sitte, dass die Wohnungen einer türkischen Familie nicht mit Straßenschuhen betreten werden sollte. Die Pflegedienst-Mitarbeiter, denen die Berufsgenossenschaft vorschreibt, wegen der Verletzungsgefahr Schuhe zu tragen, behelfen sich damit, Plastik-Überzieher zu tragen. „Auch wenn jemand betet, sollte man warten, bis er fertig ist“, erklärt Kadriye Öz.

Auf den Gebetsteppich zu treten, wäre ein ebenso schwerer Fehltritt. Wissen die Pflegedienst-Mitarbeiter aber Bescheid, so wie das sechsköpfige Team von IP Integrative Pflegen, schlössen besonders türkischstämmige Patienten ihre Helfer fest ins Herz. „Sie behandeln mich wie ihre Tochter und ich fühle mich auch so“, sagt Kadriye Öz, die auch nicht auf die Uhr guckt, wenn es darum geht, noch Formulare zu übersetzen oder Anträge fürs Amt auszufüllen.

Drei türkischsprechende Mitarbeiterinnen hat der Ambulante Pflegedienst IP derzeit und würde gerne noch eine examinierte Kraft – ganz gleich welcher Herkunft – einstellen. Die Grundvoraussetzung für die Einstellung: Akzeptanz, Toleranz und allen voran Menschlichkeit.

Kadriye Öz stellt Konzept bei Unternehmerinnen-Treffen vor

Das Konzept ihres ambulanten Pflegedienstes IP Integrative Pflege stellt Kadriye Öz am Montag, 13. Februar, bei einem Vernetzungstreffen der Unternehmerinnen im Rahmen des städtischen Projektes zur Migrantenkonomie vor.

Dieses Treffen (16 Uhr im Dieze, Dienstleistungszentrum Erin, Erinstraße 6) soll allen Unternehmerinnen mit Zuwanderungsgeschichte Gelegenheit bieten, sich kennenzulernen und auszutauschen. zudem gibt es Informationen zu den Themen Finanzierung, Förderung und Ausbildung. Als Gesprächspartner sind das Unternehmerinnenforum Castrop-Rauxel e.V., das Kompetenzzentrum Frau & Beruf Emscher-Lippe und das Petek Business-Netzwerk Migrantinnen vor Ort. Die Teilnahme ist kostenlos.

Das Projekt zur Migrantenökonomie hat zum Ziel, die Potenziale von Castrop-Rauxeler Unternehmen, die von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geführt werden, aufzudecken, zu vernetzen und zu stärken. Das nächste Treffen – ein Workshop zur Existenzgründung – findet am 27. Februar statt, bevor am 7. März das Abschlusstreffen aller Teilnehmer ansteht.

Mehr Informationen zum Projekt Migrantenökonomie > hier!