Menschen, die sich ungewöhnlich lange im Internet aufhalten, finden in Castrop-Rauxel Hilfe bei der Suchtberatung der Diakonie. Diplom-Sozialpädagoge Jochen Weickert hält insbesondere Online-Rollenspiele für eine potenzielle Suchtgefahr.

Der Einstieg in seine neue Umgebung hat spielerisch leicht geklappt. Hier fand Andreas H. (Name der Redaktion bekannt) aus Castrop-Rauxel schnell Anschluss. Neue Bekanntschaften schloss er in Windeseile. Große Anerkennung wurde ihm dafür innerhalb kurzer Zeit zuteil. Das macht ihn stolz und ziemlich einsam.

Mehr als eine halbe Million Süchtige

Andreas Freunde von früher und seine Familie, die haben ihn zuletzt immer seltener von Angesicht zu Angesicht gesehen, sondern häufig nur noch vor dem Computer hockend. Der Ort, der ihm Zugang verschafft zu einer Welt, die nur virtuell existiert, in der sich der 28-Jährige jeden Tag stundenlang aufhält. Andreas H. ist internetsüchtig.

In Deutschland gibt es nach einer aktuellen Studie mehr als eine halbe Million Onlinesüchtige wie Andreas. Sie nutzen soziale Netzwerke wie Facebook oder Online-Spiele exzessiv. Diese Menschen verbringen derartig viel Zeit vorm Bildschirm, dass sie ihr reales soziales Umfeld und ihre Arbeit vernachlässigen. Die Folgen können auseinanderbrechende Beziehungen, soziale Isolation und der Verlust des Arbeitsplatzes sein.

Viele Süchtige erkennen ihr ungewöhnliches Verhalten nicht. Doch es gibt auch Fälle, in denen Betroffene reflektiert haben, dass sie wegen der übermäßigen Nutzung in große Schwierigkeiten geraten sind. Dann wenden sie sich unter anderem an Jochen Weickert von der Diakonie in Castrop-Rauxel. Der Diplom-Sozialpädagoge hilft Menschen in der Suchtberatung. Er hat beobachtet, dass die Vermittlungen von Internetsüchtigen in spezielle Fachkliniken zunimmt. In diesem Jahr haben bislang zwei Menschen wegen ihrer Sucht seine Hilfe gesucht.

Rollenspiele bergen großes Suchtpotenzial

Der Erfahrung von Weickert nach bergen insbesondere Rollenspiele im Netz ein großes Suchtpotenzial. „Manche der Spieler sind rund um die Uhr im Spiel“, erklärt der Sozialpädagoge. Das perfide: Je mehr Zeit ein Spieler in dieser Online-Welt verbringt, desto besser stehen seine Chancen, in der Hierarchie der Rollenspiel-Community aufzusteigen. „Man muss im Spiel dranbleiben, ansonsten verliert der Spieler seinen hart erspielten Status.“ Steigt sein Status, „ dann empfindet er tatsächliche Glücksgefühle“, so Weickert. Die Suchtfalle.

Internetsucht wird in vielen Fällen erst spät erkannt. „Den Menschen ist dies nicht anzusehen“, erklärt der Suchtberater. Nur ihr Verhalten weise auf einen ungewöhnlich hohen Konsum von digitalen Inhalten hin. „Sie werden unzuverlässig, halten Verabredungen nicht ein“, nennt Weickert als typische Beispiele und ergänzt: „Häufig vernachlässigen sie Dinge, die ihnen früher wichtig waren.“ Dem Sozialpädagogen sind auch Extremfälle bekannt, bei denen sich Onlinesüchtige nicht einmal fürs Einkaufen vor die Haustür begaben. „Statt zu kochen, bestellten sie sich dann Pizza“, sagt er.

Als besonders anfällig für einen ungewöhnlich langen Verbleib in virtuellen Welten gelten junge Menschen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren. Wenn ein Jugendlicher täglich mehr als vier Stunden mit Internetinhalten wie Chats, Facebook oder Spielen verbringe, gilt dies als süchtig. Bei einer Entwöhnungstherapie zeigen Betroffene typische Symptome wie innere Unruhe oder übermäßiges Schwitzen. Selbst helfen sich die wenigsten. Die meisten Therapiepatienten werden von Familienmitgliedern oder Bekannten an die Suchtberatung vermittelt.