Castrop-Rauxel. .
Zum letzten Mal brachten Brieftauben per Rucksack digitaliserte Kunst nach Castrop-Rauxel. Nun kann die Ausstellung „...im flug vergangen“ beginnen.
Die Plörre kommt vom Himmel und macht einfach nur nass. „So ein Wetter können wir eigentlich nicht gebrauchen, aber es wird schon klappen.“ Taubenvater Manfred Wöhrmann zieht die Augenbrauen zusammen, blickt gen Himmel. Alles grau, es tut sich nichts. Noch nichts. Denn jeden Augenblick müssen hier in seinem Garten am äußersten Ende von Ickern 20 Brieftauben der Schlaggemeinschaft Wöhrmann, Ortmann, Kubski auftauchen - und im Taubenhaus verschwinden.
Gestartet sind sie vor einer Viertelstunde an der Essener Zeche Zollverein. Ihr Auftrag: Als „Vorboten“ der TWINS-Ausstellung transportieren die Renntiere der Lüfte digitalisierte Arbeiten des Fotografen Andreas Teichmann. Die Fotos des Künstlers, der Mann hat u.a. bereits den Geo-Fotopreis gewonnen, sind auf Mikrochips gespeichert und werden von den Tauben in Mini-Rucksäcken überbracht.
Die ganze Aktion gehört zum TWINS-Projekt, einem Europa-Projekt der Kulturhauptstadt Ruhr.2010. „...im flug vergangen“ heißt das ungewöhnliche Ausstellungsprojekt, an dem 20 Künstler aus der heimischen Region sowie zehn Künstler aus dem benachbarten Ausland beteiligt sind. Ausgestellt werden die Exponate vom 4. bis 20. September im Galeriehaus Grosche und in der Keramikwerkstatt Commandeur.
Derweil bleibt im Wöhrmannschen Garten der Himmel immer noch zugezogen. Zehn Minuten sind nach dem Taubenauflass vergangen. Zeit für ein Pläuschchen übers liebe Federvieh. Rund 180 Tauben gehören zur Schlaggemeinschaft Wöhrmann, Ortmann, Kubski, die natürlich auch züchtet. Die Hochzeit der Taubenfreunde ist allerdings schon längst Vergangenheit. Ortmann: „Es gibt immer weniger Schläge. Im Schnitt hören im Jahr zehn Prozent auf.“ In Zahlen sieht das so aus: Gerade noch 72 Züchter gibt es aktuell in der Europastadt. Ortmann: „Und wir waren früher einmal 1000.“
Die kleine Kimberley Kubski ist erst 13 Jahre alt, Castrop-Rauxels Nachwuchsstar und Taubenmutti durch und durch. Sie holt Preise und belegt die vorderen Plätze bei den Flügen der Reisegemeinschaft. Alle drei schauen jetzt schon mal in Richtung Himmel, bleiben erstaunlich ruhig. „Die kommen immer nach Hause, ob bei Regen oder Sonne“, sagt Peter Ortmann und erinnert an den letzten Kunst-Transport, der von Linz nach Castrop-Rauxel führte.
Das sind rund 660 Kilometer, die in neuneinhalb Stunden zurück gelegt wurden. „Bei einer Reisegeschwindigkeit von rund 70 Stundenkilometern.“ Allerdings geht’s auch noch schneller. Ortmann: „Wenn die Wind im Hintern haben, gehen die richtig ab. Dann werden es auch schon mal schnelle 120 Stundenkilometer.“
Nun, kaum ausgesprochen, raschelt es in der Luft. Der Taubentrupp aus Essen landet auf dem Dach des Schlages. Unversehrt, pünktlich, komplett und sehr eindrucksvoll. Kimberley legt sofort mit dem Lockeinsatz los. Per Trillerpfeife und Futterdose, die sie eifrig schüttelt, holt sie die flatternden und gurrenden Tiere auf den Boden. Ein fixer Griff und Taubenvater Wöhrmann schnappt „Biene“ und „Scary“, löst den Mini-Rucksack und zieht den Chip heraus.
Matthias Grosche hat derweil im Gartenhaus von Familie Wöhrmann den Laptop angeschlossen. Er fügt den Chip ein und Stück für Stück bauen sich die Fotos auf. Auch die Teichmann-Bilder sind nun im Kunstsack. Und Grosche wirkt sehr froh und beruhigt. „Ein Elfmeterschießen ist nichts gegen das Warten auf die Ankunft der Tauben.“