Vorstand soll Geld veruntreut haben. Mitglieder müssen mit Verlust rechnen. Staat schickt „Feuerwehrmann”
Es war eine Meldung in der Zeitschrift „Versicherungswirtschaft”, die Hans-Wilhelm Schleich auf den Plan rief. „BaFin schickt Sonderbeauftragten zur Sterbekasse”, hieß die Überschrift, die Schleich zum Weiterlesen animierte. Was folgte, traf den pensionierten Betriebswirt ganz persönlich. Die finanziellen Nöte, die der Artikel beschrieb, betrafen die Versicherungs-Gemeinschaft Sterbegeldversicherung aus Bochum-Gerthe. Schleich ist dort ebenso Mitglied wie weitere etwa 11 000 Menschen. Darunter sind viele auch aus Castrop-Rauxel.
Bei der Gerther Sterbekasse, gegründet im November 1921, fehlen Schleich zufolge etwa fünf Millionen Euro in den Büchern. 300 000 bis 400 000 Euro Verlust seien der aktuellen Finanzkrise geschuldet, 3,7 Millionen Euro aber soll ein Vorstand in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Daraus entstanden seien weitere Zinsverluste in Höhe von etwa einer Million Euro. Der Tatbestand der Veruntreuung werde von der Staatsanwaltschaft geprüft, „es gibt sogar die Anerkennung einer Teilschuld und eine Selbstanzeige eines Vorstandsmitglieds”, sagt Schleich.
Was das für die Mitglieder bedeutet, die bei der Gerther Sterbekasse zum Teil gleich mehrere Verträge abgeschlossen haben, beschreibt Schleich so: Von ursprünglich zu erwartenden Auszahlungen blieben nur noch 68% übrig. Hat ein Versicherter also 1000 Euro für die Absicherung seiner Bestattung erwartet, bekäme er nur noch 680 Euro. „Im Mittel sind 32 Prozent der Versicherungsleistung verloren. Manche, die mehrere Verträge haben, trifft es noch härter ”, sagt er. Für viele Mitglieder, in der Regel kleine Leute wie Bergmannswitwen, seien die Verluste unglaublich hart.
Zwei Dinge bringen Hans-Wilhelm Schleich auf die Palme: Das „Vier-Augen-Prinzip” im Vorstand müsse versagt haben. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die anderen Vorstandsmitglieder mit geschlossenen Augen dabeigesessen haben”, sagt er. Auch die Wirtschaftsprüfung müsse gepatzt haben – immerhin geht er davon aus, dass die Vorgänge bereits im Jahr 2000 begonnen hätten. Und: Die Sterbekassen sind nicht Bestandteil des gesetzlichen Sicherungsfonds Protektor. Für Schleich eine Lücke im Gesetz, die dazu führt, dass bei einer Insolvenz der Sterbekasse die Versicherten ohne Schutz dastünden.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat sich noch nicht öffentlich geäußert. Sie hat aber zu einer ihrer schärfsten Maßnahmen gegriffen. Sie schickte einen Sonderbeauftragten, der die Geschäfte befristet übernahm, was sie seit ihrer Gründung im Jahr 2002 erst drei Mal tat. Wie die Situation zu lösen ist, weiß auch Schleich nicht. Die Sterbekasse dürfte sich von dem Schaden in den nächsten zwei Jahrzehnten nicht erholen, vermutet er. Für Schleich wäre es am besten, die Gerther Versicherungsgemeinschaft würde mit einer anderen Sterbekasse fusionieren. Aber: „Solch einen maroden Verein will wohl keiner aufnehmen.”
Für die Gerther Versicherungsgemeinschaft nahm die 1. Vorsitzende Christine Freitag Stellung: Noch im Oktober würden die Mitglieder per Brief informiert. Zudem bekämen sie eine neue Berechnung ihrer Verträge. Laut Freitag sei das Grundsterbegeld gesichert, lediglich die Boni würden gekürzt.