Castrop-Rauxel. Beim Not-Telefon für Opfer von sexueller Gewalt in kirchlichen Einrichtungen melden sich inzwischen immer mehr Betroffene. Zum einen sei auch die Sensibilität für das Thema größer geworden, sagt Annegret Laakmann, die Mitbegründerin des Not-Telefons ist.
Annegret Laakmann (66) von der katholischen Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche” ist Mitbegründerin eines Not-Telefons, das Opfern sexueller Gewalt durch Priester, Ordensleute oder Kirchen-Mitarbeiter zuhört und Hilfe bietet. WAZ-Mitarbeiterin Irene Stock sprach mit ihr.
Von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche ist immer wieder die Rede gewesen. Dennoch kommen erst jetzt viele Fälle aus der Vergangenheit auf den Tisch. Warum?
Laakmann: Das liegt zum einen daran, dass ein Jahr nach Gründung des Not-Telefons 2002 von einigen Kirchengemeinden Protest gegen die Veröffentlichung der Notrufnummer kam. Zum anderen ist die Sensibilität für das Thema größer geworden. Seitdem die Missbrauchsfälle in den 70er- und 80er-Jahren am Canisius-Kolleg in Berlin bekannt geworden sind, ist das Thema öffentlich geworden.
Wie entstand das Not-Telefon?
Nachdem Fälle von sexueller Gewalt von katholischen Priestern und Ordensleuten an Kindern und Jugendlichen in den USA 2002 bekannt wurden, hatte die KirchenVolksBewegung die Deutsche Bischofskonferenz zum Handeln aufgefordert.
Wie viele Opfer haben sich seit 2002 am Not-Telefon gemeldet?
Es melden sich mehr, wenn neue Fälle wie jetzt am Canisius-Kolleg und im Bistum Münster bekannt werden. Insgesamt dürften es seit 2002 um die 300 Opfer sein. Zurzeit registrieren wir bis zu drei Anrufer täglich. Manche Opfer melden sich erst nach 20, 30, ja 70 Jahren.
Was wollen die Opfer von Ihnen?
Häufig haben sie über das Geschehene noch nie geredet und wollen nur darüber sprechen, was ihnen angetan wurde. Oft melden sie sich erst, wenn der Täter verstorben oder so weit weg ist, dass er ihnen nichts anhaben kann.
Wie arbeitet das Not-Telefon?
Auf Wunsch bleiben die Anrufer anonym. Gesprächspartnerin ist eine für Kriseninterventionen geschulte Frau, die dem Opfer vor allem glaubt und zuhört. Gemeinsam überlegen sie, welche Hilfe sinnvoll ist. Zur Bearbeitung und Aufarbeitung des Geschehenen helfen wir bei der Suche nach einem Therapeuten.
Rufen nur Opfer an?
Es melden sich auch Eltern, die die Möglichkeit sexueller Gewalt durch Pfarrer oder andere im Kirchendienst an ihren Kindern vermuten oder sich sicher sind, dass sexuelle Gewalt an ihren Kindern ausgeübt wird. Es rufen auch Kinder und Jugendliche an, um sich auszusprechen und Rat zu holen. Und: Es melden sich Täter. Auffällig ist, dass sie keinerlei Unrechtsbewusstsein haben und sich rechtfertigen.
Die Missbrauchstaten sind inzwischen verjährt. Fordern Sie eine Aufhebung der Fristen?
Das ist ein Problem. In einem Prozess, in dem über sexuellen Missbrauch verhandelt wird, muss das Opfer genaue Angaben zu Zeit und Ort machen. Wer kann das schon nach so vielen Jahren? Wenn diese Daten aber nicht genannt werden können, reicht es nicht für eine Verurteilung. Wenn die Täter freigesprochen werden, ist den Opfern nicht geholfen.