Bottrop. . Der Aussichtsturm thront seit 20 Jahren über der Stadt. Die Pyramide aus Stahl auf der Halde an der Beckstraße ist am 3. Oktober 1995 eröffnet worden.
Der Tetraeder hat am Tag der Deutschen Einheit Geburtstag. Heute vor 20 Jahren ist der Aussichtsturm auf der Halde an der Beckstraße offiziell eröffnet worden. Der Tetraeder ist das Wahrzeichen des Ruhrgebietes und der Stadt sowieso.
Der Regionalverband Ruhr stellt die Pyramide in eine Reihe mit dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein. Tetraeder-Erfinder Wolfgang Christ, der die nachts über der Stadt schwebende Landmarke gemeinsam mit dem Tragwerk-Experten Klaus Bollinger entwarf, war von der Strahlkraft seiner Großskulptur von Beginn an überzeugt. Aus Anlass des runden Tetraeder-Geburtstages sprach WAZ-Redakteur Norbert Jänecke mit dem Darmstädter Architekten.
Das Haldenereignis Emscherblick wurde am Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 1995 eröffnet. War Ihnen klar, dass der Tetraeder zu einem so erfolgreichen Publikumsmagneten werden sollte?
Wolfgang Christ: Auch wenn das jetzt arrogant klingen mag, natürlich habe ich damit gerechnet.
Worum ging es, als Sie den Tetraeder entwarfen?
Wir sollten ein großes Zeichen setzen, etwas an dem jeder sich gut orientieren kann. Deshalb kam uns ein Turm in den Sinn, der sich von allen anderen Türmen unterscheiden musste. Der Turm sollte außerdem einen gemeinschaftlichen Charakter haben.
Das scheint gelungen. Ist der große Tetraeder nicht auch aus mehreren Tetraedern zusammengesetzt?
Genau. Der Tetraeder setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Damit wird die Bauweise der Bergehalde aufgenommen, die aus Schichten besteht. Auch die Wege auf der Halde sollten sich in den Turm hinein fortsetzen. Jetzt können Sie vom Fuß der Halde in einem direkt bis in die höchste Aussichtsplattform durchlaufen.
Mancher nennt den Tetraeder auch Pyramide von Bottrop. Eine so ungewöhnliche Form gab es für einen Turm jedenfalls vorher hier nicht.
Die geometrische Form ist nicht zufällig so entstanden. Sie soll Stabilität vermitteln. Das Ruhrgebiet ist ja bis heute eine Region des Umbruchs. Jeden Tag geschieht hier etwas. Da muss es auch so etwas geben wie einen Anker, einen Orientierungspunkt, jedenfalls etwas, an dem sich die Leute hier festhalten können.
Wie sind Sie denn auf die Bergehalden im Ruhrgebiet und seine Landmarken-Pläne aufmerksam geworden?
1988/89 war ich eigentlich schon als Bereichsleiter für Städtebau auf dem Weg zur Internationalen Bauausstellung Emscherpark. Ich bin ja auch eine Zeit lang als freier Mitarbeiter bei Professor Karl Ganser, dem Leiter der IBA, tätig gewesen. Als mich Karl Ganser dann einlud, an der Entwicklung der Landmarken für den Emscherpark mitzuarbeiten, kannte ich das Ruhrgebiet recht gut. Ich wusste genau, dass es zwar große Industriebauten, aber noch überhaupt keine öffentlich zugänglichen Großskulpturen wie den Tetraeder gab.
Besuchen Sie den Tetraeder eigentlich auch jetzt noch ab und zu?
Aber ja, im Juni war ich das letzte Mal dort. Es war an einem Sonntag, und die Sonne schien. Auf der Halde herrschte eine sehr entspannte Atmosphäre. Der Tetraeder ist einer der wenigen Orte, die ich kenne, der den eingeborenen und zugereisten Bürgern gemeinsam gehört. Es ist ein Ort für alle geworden.
Trauen Sie selbst sich denn auf dem Aussichtsturm bis ganz nach oben?
Als ich das erste Mal hinauf stieg, hatte ich schon ein wenig Höhenangst. Ich musste mich überwinden. Das soll aber so sein. Gerade das macht den Tetraeder ja aus, dass er schwingt, und es da oben ziemlich luftig ist. Die oberste der drei Plattformen besteht allerdings nicht mehr wie die beiden ersten aus Lochgittern, durch die Sie in die Tiefe schauen, sie ist geschlossen. Je höher Sie also hinauf gehen, um so stärker werden Sie abgesichert.
Der Tetraeder ist unbezahlbar
Der Mann ist nicht von hier. Das sollte sich als Glücksfall erweisen. Denn er schenkte der Stadt ein unverwechselbares Wahrzeichen. Dass man so eine öde Bergehalde wie die an der Beckstraße in ein beliebtes Ausflugsziel umwandeln kann und Teile des Kohlenpotts in den Emscher Landschaftspark, traute sich hier erst einmal kaum jemand auf den Weg zu bringen. Da musste ein Macher aus Bayern ran: Prof. Karl Ganser machte sich 1989 zehn Jahre lang als Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) an die Arbeit, Stadtteile zu erneuern und Industrie-Areale zurückzugewinnen.
Landmarken an einer Schnur
Landmarken wie den Tetraeder an einer Schnur entlang einer imaginären Route der Industriekultur von Duisburg bis Dortmund auf die Berghalden zu setzen, war so eine auf den ersten Blick verrückten Ideen der Mitstreiter des Stadtplaners Ganser. Auch Tetraeder-Erfinder Wolfgang Christ erinnert sich gut daran, das viele Leute sich gar nicht vorstellen konnten, anstelle von Fabrikhallen riesige Skulpturen zu errichten.
210 Tonnen Stahl verbaut
Als die ersten Stahlträger auf der Halde an der Beckstraße in den Himmel ragten, sprachen etliche neugierige Spaziergänger den Darmstädter Architekten an. „Sie haben mich damals gefragt, wann denn das Dach da drauf kommt. Die haben mir zuerst nicht geglaubt, dass wir da gar keine Maschinenhalle bauen, und nicht an Arbeitsstätten, sondern an Freizeitziele denken“, erzählt Christ. „Das gab es zu der Zeit im Ruhrgebiet ja auch nicht: Großskulpturen, die öffentlich zugänglich sind“, erläutert der Architekt. Fasziniert hat das Kunstwerk viele Zuschauer aber auch schon während der Bauphase. Schließlich besteht er aus gut 210 Tonnen Stahl und 1,5 Kilometer langen Rohren. Seine Treppen haben 387 Stufen. Als der Tetraeder dann erst einmal auf der Halde stand, war schnell klar, dass er zu einem beliebten Ausflugsziel werden würde. Die Bedeutung des Tetraeders für die Stadt sei gar nicht zu beziffern, sagt Oberbrügermeister Bernd Tischler. Gut. dass man sich vor 20 Jahren entschlossen habe, die Landmarke zu bauen. Der Oberbürgermeister sieht in ihr sogar „zuerst einmal ein Wahrzeichen Bottrops“. „Aber wir teilen es gern mit anderen und sind froh, dass es zur Landmarke für das Ruhrgebiet geworden ist“, scherzt der OB. Denn natürlich weiß auch Bernd Tischler, dass der Tetraeder dem Regionalverbund Ruhr (RVR) gehört, im Zuge der Internationalen Bauausstellung Emscherpark entstand und viele Väter hat.
Ausblick von der Halde
Doch die Bedeutung der Landmarke für die Stadt ist unumstritten. Touristen wie Einheimische genießen den Ausblick von der Halde und auch offizielle Besucher führe er gern zum Tetraeder, sagt Tischler. Karola Geiß-Netthöfel, die RVR-Direktorin stellt die Bottroper Landmarke in eine Reihe mit dem Weltkulturerbe Zollverein in Essen und dem Oberhausener Gasometer. „Der Tetraeder ist ein Wahrzeichen für das gesamte Ruhrgebiet.“ Auch beim RVR habe man nie den Versuch unternommen, den finanziellen Wert des Tetraeders zu bemessen, sagt Sprecher Jens Hapke. Doch was die Bedeutung des Bauwerks für die Region angeht, hat er doch einige Anhaltspunkte. Schließlich könne die RVR-Pressestelle nachhalten wie viel Anfragen zum Tetraeder kommen. Denn bei Berichterstattungen über das Ruhrgebiet wollten Reporter oder Filmteams zumeist auch auf eine der Bergehalden. „Von Spiegel über ZDF bis hin zur Zeit waren eigentlich schon alle großen Medien am Tetraeder in Bottrop“, sagt Hapke.
Der ehemalige städtische Baudezernent Norbert Wallmann sagt rückblickend: „Hätte es die Halden nicht schon gegeben, hätte man sie eigentlich erfinden müsen“, so sehr stehen sie und die Landmarken inzwischen für die gesamte Region. Der Tetraeder an sich sei ja ein Zeichen des Strukturwandels, gleichzeitig aber könne man von ihm aus den Strukturwandel beobachten, sagt Wallmann mit Blick auf die sich verändernde Landschaft am Fuße der Halde
Anfangs eine umstrittene Idee
Die Idee, eine Landmarke auf die Halde an der Beckstraße zu setzen, war 1992 noch ziemlich umstritten, erinnert sich Bürgermeister Klaus Strehl. Der SPD-Ratsherr war auch zu der Zeit schon Vorsitzender des Ausschusses für Stadtplanung und erinnert sich an die Debatten im Vorfeld. 300 000 Mark – so hoch war der Anteil, den die Stadt bezahlen musste. „Es gab Stimmen, die haben gesagt davon sollte man besser einen Kindergarten bauen.“
Doch letztlich entschied man sich für die Landmarke, „auch weil es ein IBA-Projekt war und entsprechend geförderte wurde“. Aber: Wäre der Tetraeder teurer als drei Millionen Mark geworden, wäre das Projekt gestorben. Ein entsprechender Passus sei auf CDU-Wunsch extra in den Beschluss aufgenommen worden“, erinnert sich Strehl. Auch bei den Bürgern war der Bau der als „Pracht-Pyramide“ geschmähten Landmarke umstritten, Kritiker sahen darin ein „Paradebeispiel von Verschwendung von Steuergeldern“. So war es übrigens auch in einem Leserbrief in der WAZ zu lesen.
Saalbau-Erfahrungen genutzt
Auf Seiten der Verwaltung hat Norbert Wallmann als Baudezernent die Planung und den Bau begleitet. Warum er damals dafür war? „Ich habe in Hannover Städtebau studiert wir hatten da einen Professor, der uns immer gesagt hat: ,Was man nicht verstecken kann, muss man unterstreichen.’ “ Unter diesem Motto habe man versucht aus den Halden, die sich nun wirklich nicht verstecken ließen, etwas zu machen. „Und so entstand das Konzept der Landmarken im nördlichen Ruhrgebiet“, sagt Wallmann mit Blick auf die IBA und deren Geschäftsführer Karl Ganser.
Beim Tetraeder konnte die Stadt sogar Saalbau-Erfahrungen nutzen. Die Streben der Landmarke treffen in Gussknoten aufeinander – und ähnliche Konstruktionen gebe es auch an der Stadthalle. Heute so Wallmann, könne sich niemand das Ruhrgebiet ohne Landmarken und Halden vorstellen. „Aber bis es so weit war, waren es nur lästige Gebilde, wo der Dreck hingefahren wurde.“
Auf der Halde Beckstraße wurde nichts dem Zufall überlassen.Auch die Mulde am Fuße des Tetraeders sei bewusst so geplant. Die Besucher sollten wenn sie aus der Senke hochschreiten „die Landschaft wachsen sehen“.
Doch zunächst musste der Tetraeder wachsen. Als Bauleiter war Heinz Janzen verantwortlich. Der Bauingenieur arbeitete für die Ruhrkohle und ist selbst Bottroper. Entsprechend eng seine Bindung an das Wahrzeichen. Er erinnert sich an die schwierige Bauphase. Bei starkem Wind etwa, musste die Arbeit ruhen. Weil man beim Bau auf der Halde nicht auf das Know-How der Ruhrkohle habe verzichten wollen, sei er damals ins Spiel gekommen, sagt Janzen. Er beschreibt die aufwendigen Fundament-Konstruktion: Die Stahlkonstruktion steht auf den vier Betonstelzen, die wiederum ruhen auf 2,5 Meter dicken Fundamenten, die ihrerseits von zwölf Meter langen Bohrpfählen gestützt sind. „Die nehmen die Kräfte auf“, erklärt Janzen. Er ist sich sicher: „Es gibt kein Objekt in Bottrop, das stärker für die Stadt steht, als der Tetraeder.