„Wenn Du Deine Hausaufgaben nicht ordentlich machst, schicken wir Dich nach China in die Schule!“ Eine Drohung, die garantiert Wirkung zeigt – wenn China nicht so weit weg wäre. Denn im Reich der Mitte dauert der Schultag über 13 Stunden: von 7.30 bis 20.45 Uhr, jeden Tag. „Und 50 Schüler pro Klasse sind normal“, sagt Xi Yang. Die 26-jährige Chinesin unterrichtet in ihrer Heimat Deutsch und ist seit drei Wochen zu Gast an der Hauptschule Kirchhellen.
Die Dimensionen in diesem Land, mit 1,3 Milliarden bevölkerungsreichster Staat der Erde, sind in vielerlei Hinsicht gigantisch. So besuchen 2000 Kinder die Mittelschule, an der Xi Yang in der 8-Millionen-Stadt Wuhan mit 200 Kollegen unterrichtet. Von Einzelförderung der Schüler kann da wohl kaum die Rede sein. Aber die unglaubliche Disziplin der Chinesen macht viele Defizite wieder wett. „Die Lehrer müssen durchs Mikrofon dozieren“, weiß Trudel Zeltinger-Reinbold, Lehrerin an der Hauptschule Kirchhellen und Gastgeberin von Xi Yang.
Trudel Zeltinger hatte über den Pädagogischen Austauschdienst Deutschland Kontakt zu Xi Yang aufgenommen. Die junge Chinesin, die nahezu perfekt Deutsch spricht, kommt als eine von wenigen in den Genuss des Deutschlandaufenthaltes. „In diesem Jahr sind nur 20 Lehrer aus China zu einem Austausch nach Deutschland gekommen“, hat sich Xi Yang erkundigt, „alle sind Deutschlehrer und verfügen über das Deutsche Sprachdiplom. Für dieses Diplom haben wir in China eigene Schulen.“
Lieblingsautor Grass
Xi Yang, das bedeutet „Sonnenschein“, unterrichtet wie alle Lehrer in China nur ein Fach. Deutsch lernt sie seit dem Jahr 2003 und hat in ihrer Heimat Germanistik studiert. Der Schwerpunkt bei Germanistik liegt in China allerdings auf der Linguistik (Sprachwissenschaft), Literaturwissenschaft ist eher zweitrangig. Obwohl Xi Yang auf die Frage nach ihrem deutschen Lieblingsschriftsteller sofort ins Schwärmen gerät: „Günther Grass!“, lächelt sie. Bei der Wahl der zweiten Sprache nach dem weltweit obligatorischen Englisch hatte ihr Vater ein Wörtchen mitzureden: „Mein Papa hat gesagt, Deutsch ist besser als Französisch.“ Der Stellenwert scheint also hoch. Das wirkt sich auch auf die deutschen Universitäten aus. Rund 20 000 junge Chinesen studieren zurzeit in Deutschland. „Vor allem Technik und Maschinenbau. Auf diesem Sektor hat Deutschland in China den allerbesten Ruf“, erzählt die 26-Jährige. Nach vier Jahren müssen die Studenten zurück und ihr Wissen der Heimat zur Verfügung stellen; denn das Studium bezahlt die Volksrepublik China.
In der Struktur ähnlich sind sich deutsches und chinesisches Schulsystem: Auf sechs Jahre Grundschule folgen drei Jahre Mittelschule. Der dreijährige Weg zum Abitur („Gao Kao“) führt übers Gymnasium, für das aber Schulgeld bezahlt werden muss. Großer Wert wird in Chinas Schulen auf Disziplin gelegt. Das bedeutet vor allem: Pünktlichkeit, Höflichkeit, Hausaufgaben. In einem Punktesystem wird notiert, wann es an der Zeit ist, die Eltern für ein Gespräch an die Schule zu zitieren. „Das funktioniert gut; denn die Kinder bei uns haben Angst vor Eltern und Lehrern“, sagt Xi Yang.