Bottrop. . In diesem Jahr haben schon fast so viele Bottroper der Kirche den Rücken gekehrt wie im gesamten Jahr 2013. Ursache könnte ein neues Einzugsverfahren für die Kirchensteuer sein. Selbstkritisch räumt ein Sprecher ein: „Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen.“

Die Zahl der Kirchenaustritte schnellt weiter in die Höhe: Bis zum Stichtag 31. Juli kehrten in diesem Jahr schon 433 Bottroper den beiden großen Glaubensgemeinschaften den Rücken. Das sind bereits jetzt fast genauso so viele wie im kompletten Jahr 2013 – da zählte das Amtsgericht nach zwölf Monaten insgesamt 477 Austritte.

Die meisten Austritte seien in diesem Jahr erfolgt, nachdem die Bürger ein Schreiben über das neue Einzugsverfahren der Kirchensteuer auf Kapitalerträge erhalten hatten, so die Einschätzung von Amtsgerichtsdirektor Harald Lütgebaucks. Denn ab 2015 wird diese bei Kirchenmitgliedern automatisch von den Banken abgeführt.

Von den 433 Kirchenaustritten in diesem Jahr entfielen 154 auf die evangelische und 279 auf die katholische Kirche. „Das liegt auch daran, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung katholisch ist“, so Lütgebaucks. Rechnet man diese Zahlen auf das komplette Jahr 2014 hoch, so könnten alles in allem 742 Austritte zusammenkommen – 264 aus der evangelischen und 478 aus der katholischen Kirche.

Wie die Zahlen für das erste Halbjahr 2014 bei den einzelnen Gemeinden aussehen, darüber konnten die beiden großen Pfarreien St. Cyriakus und St. Joseph noch keine detaillierte Auskunft geben. Pfarrer Martin Cudak von St. Joseph bestätigt zwar auch für den Bottroper Bereich den vom Bistum gemeldeten steigenden Ausstiegs-Trend, kannte aber keine konkreten Größenordnung. Mit Blick auf das neue Kirchensteuereinzugsverfahren auf Kapitalerträge sagte der Geistliche jedoch: Seit der Limburger Affäre und Bischof Tebartz-van-Elst seien die Menschen noch einmal mehr sensibilisiert, was Kirche und Finanzen betreffe, auch wenn das neue Verfahren unter dem Strich keinerlei Erhöhung der Kirchensteuer bedeute.

Einen deutlichen Anstieg der Kirchenaustritte gibt es in der ganzen westfälischen Landeskirche. „Wir rechnen mit einer Steigerung von einem Drittel in diesem Jahr“, sagt Werner Bugzel, Sprecher des Evangelischen Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten.

Selbstkritisch fügt er hinzu: „Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen.“ Denn die Umstellung auf den automatischen Einzug der Steuer habe die Kirche nicht offensiv kommuniziert. Jetzt bekommen Bankkunden Schreiben, dass die Bank ihre Religionszugehörigkeit beim Finanzamt abfragt, wenn nicht ausdrücklich widersprochen wird. Die Verbindung der Begriffe Kirche und Finanzamt nennt Bugzel „unglücklich“.

Das neue Einzugsverfahren ist eine Hinterlassenschaft von Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, der 2009 die „Quellensteuer“ auf Kapitalerträge eingeführt hat. Die Kirchen hatten selbst auf die Automatisierung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge gedrängt. Das scheint nun nach hinten loszugehen.