Bottrop.

Allen Warnungen zum Trotz verabschiedete die Landesregierung vor wenigen Wochen das 9. Schulrechtsänderungsgesetz. Paul Ketzer, Erster Beigeordneten der Stadt, zeigt die Konsequenzen eines Gesetzes, das so keine Kommune im Land haben wollte.

Das Gesetz ist nun da, was bedeutet es für die Stadt?
Paul Ketzer: Inklusion ist ein großes Thema, und es war ein langer Prozess bis zur Verabschiedung des Gesetzes. Alle 396 Kommunen in NRW sind dagegen Sturm gelaufen, aber erfolglos. Das bedeutet ja nicht, dass alle gegen Inklusion sind - aber halt gegen die Art und Weise, wie sie umgesetzt werden soll. So kann das wohl nicht gelingen. Das Gesetz ist nur ein erster Schritt, Inklusion ist weiterhin ein Fernziel. Aber ab 1. August 2014 muss die Stadt dieses Gesetz umsetzen. Das bedeutet, dass Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in den Klassen 1 und 5 der Regelschulen bevorzugt aufzunehmen sind.

Werden alle Schulen im Stadtgebiet diese Verpflichtung haben?
Nein, das geht nicht! Das Gesetz verlangt ja auch nicht die Abschaffung der Förderschulen. Die Eltern haben künftig die Wahl, ihr Kind mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf entweder in einer Förder- oder einer Regelschule unterrichten zu lassen. Aber dennoch ist Inklusion kein Wunschkonzert, Eltern werden ein eingeschränktes Wahlrecht haben.

Was bedeutet das?
Wenn Eltern möchten, dass ihr Kind mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in einer Regelschule unterrichtet werden soll, so müssen sie sich zunächst an die Schulaufsicht wenden. Diese nimmt dann Rücksprache mit dem Schulträger und schlägt eine Schule vor - entsprechend dem Unterstützungsbedarf des Kindes.

An welchen Schulen wird künftig gemeinsamer Unterricht möglich sein?
Momentan haben wir vier Schwerpunkt-Grundschulen (Ludgerusschule, Fürstenbergschule, Grundschule Welheim und Grundschule Grafenwald) sowie die Willy-Brandt-Gesamtschule und zwei Hauptschulen, die integrativ Unterrichten. Zudem gibt es an zahlreichen Schulen Einzelintegrationen. Die Anzahl der Schulen, die gemeinsamen Unterricht anbieten, muss aber zum kommenden Schuljahr auf etwa acht bis zehn erhöht werden. Welche das sein werden, ist noch unklar. Fakt ist, Inklusion kann bei den weiterführenden Schulen nicht allein den Gesamtschulen überlassen bleiben. Die Schulverwaltung wird dem Schulausschuss im Januar erste Überlegungen vorstellen. Zudem müssen wir die Wünsche der Eltern kennen.

Werden Förderschulen schließen?
Das Problem ist, dass die Schulen für Lernbehinderte laut Gesetz eine Mindestgröße von 144 Schülern haben müssen. Da die Adolf-Kolping-Schule in den nächsten zwei Jahren starke Jahrgänge entlässt und zudem mehr Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf beziehungsweise auch ohne Feststellung des Unterstützungsbedarfs zur Regelschule gehen werden, spricht vieles dafür, dass die Schule in ihrem Bestand gefährdet ist. Für die Schule am Tetraeder und die Sprachschule am Stadtgarten sehe ich keine Probleme.

Warum wird die Zahl der Schüler ohne festgestellten Förderbedarf steigen?
Bislang konnte die Schule den Antrag auf Förderung stellen, wenn sie Förderbedarf bei einem Kind sah. Nun ist das praktisch alleinige Sache der Eltern. Aber die Erfahrung zeigt, dass leider viele Eltern die Augen davor verschließen, dass sie ein „Problemkind“ haben.

Das stellt die Schulen aber vor weitere Probleme...
Lehrer stehen plötzlich vor Problemen, die den normalen Unterrichtsalltag übersteigen. Wird sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf festgestellt, wird ihnen ja ein Förderlehrer zur Seite gestellt. Hinzu kommen Integrationshelfer, andere Lernmaterialien usw.

Gibt es inzwischen Klarheit, wie die Kosten gestemmt werden?
Nein! Gemäß dem Konnexitätsprinzip sind den Städten die Kosten für neue Aufgaben nicht einfach aufzubürden. Sollte es anders kommen, werden sicher 396 Kommunen klagen. Mit Blick auf die Wahl im kommenden Jahr habe ich die Hoffnung, dass sich noch etwas bewegt.

Wie wird die Qualität des Unterrichts für alle Schüler gesichert?
Es geht ja nicht nur um Barrierefreiheit, sondern um Räume, sachliche und personelle Ausstattung, Transportmöglichkeiten von Kindern, Lernmittel. Es kann und wird nicht jede Schule für den gemeinsamen Unterricht offen sein. Die Schulen brauchen zusätzliche Förderlehrer, aber der Markt für Förderlehrer ist leer gefegt. Zusätzliche Kosten von mehr als 200 000 Euro für Integrationshelfer sind im Haushalt 2014 bereits berücksichtigt.

Wie stehen Sie persönlich zu dem Thema?
Ich bin nicht gegen Inklusion. Aber das Ziel muss sein, diese qualitativ gut umzusetzen. Das ist vor dem Hintergrund knapper Haushaltskassen schwierig. Es gibt keine Übergangsfristen. Ich bin skeptisch, ob die Lehrerversorgung Schritt halten wird, und ob die Schulträger die Situation finanziell schultern können. Und wo bleibt die Gewissheit, dass dies der richtige Weg ist?