Es sind oft nicht die Forschungsbände oder Zeitungschroniken, die erschüttern, sondern die Zeugnisse, die Menschen hinterlassen, die Verbrechen wie die der Pogromnacht vom November 1938 selbst erlebt haben.
So erhielt die WAZ mit Blick auf den heutigen Jahrestag von Heimatforscher Josef Bucksteeg beispielsweise Hinweise auf die Zeichnungen, die der damals noch junge Augenzeuge Alfred Eickholt unter dem Eindruck des Überfalls auf das „Vestische Möbelhaus“ des Kaufmanns Alfred Cohn an der Essener Straße 2. Eindeutig sind auf dieser Zeichnung die SA-Uniformen der Plünderer zu erkennen - initiierter Volkszorn, nur eben ohne viel Volk.
Fest steht, dass auch die Bottroper Juden nach dem 9. und 10. November systematisch in den Ruin getrieben wurden und Enteignungen in Windeseile fortgesetzt wurden. So war beispielsweise das enteignete Möbelgeschäft von Alfred Cohn bereits einen Monat später „abgewickelt“ - wie es in Manfred Lücks Chronik zu lesen ist. Geschäfte und Immobilien wurden enteignet, zwangsversteigert, teilweise sogar von der Stadt erworben.
Jenny Kleinberger, die später als Judith Braunthal auf Einladung der Stadt Bottrop besuchte, berichtet in Lücks Chronik, wie sie den 9. November erlebte, als die SA-Männer abends mit Knüppeln in die Wohnung über dem elterlichen Möbelgeschäft am Pferdemarkt stürmten, die Eltern verprügelten und schließlich alle „barfuß, im Nachthemd, im Pyjama, blutüberströmt“ im Gefängnis gegenüber dem Rathaus landeten. Jennys Brüder lebten zu dieser Zeit in Palästina und konnten später die Ausreise der Familie organisieren. Als erwachsene Frau erinnert sich die einstige Jenny Kleinberger an ihre Rückkehr aus dem Gefängnis, als sie die Mutter im zerfetzten Nachthemd in einem Hauseingang warten ließ, bis sie selbst aus der zertrümmerten Wohnung einige Kleidungsstücke besorgt hatte.
Die Torarolle blieb unentdeckt
Kleinbergers hatten Verwandte in Buer. Aber das benachbarte Taxiunternehmen Springmann wollte keinen Wagen schicken. „Wir sind dann mit der Straßenbahn nach Buer gefahren und dort geblieben“, erinnert sich Judith Braunthal später.
Kleinbergers, die im Gegensatz zu manch anderen jüdischen Familien sehr religiös waren, konnten ihre Torarolle retten. Statt sie im ebenfalls verwüsteten Betsaal an der Tourneau-straße zu lassen, hatte der Vater sie ins Haus am Pferdemarkt gebracht, wo sie die Nazis nicht fanden. Als die Familie einen Monat später nach Palästina auswanderte, war die Rolle in ihrem Gepäck. Bis heute befindet sie sich dort in einer Synagoge.