Bottrop. .
In Bottrop verdienen fast 11 400 Menschen weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Erhielten sie einen Mindestlohn, würde ihre Kaufkraft in der Stadt um knapp 20 Mio Euro steigen.
Das ist das Ergebnis einer Studie des Pestel-Instituts in Hannover. Die Wissenschaftler haben die Zahlen aus dem Zensus - der Fragebogenaktion aus dem vergangenen Jahr - ausgewertet und unter anderem untersucht, welche Effekte ein gesetzlicher Mindestlohn für die heimische Wirtschaft hätte. „Die Kaufkraft in Bottrop würde um 19,8 Millionen Euro pro Jahr steigen. Vorausgesetzt, jeder Beschäftigte verdient künftig mindestens 8,50 Euro pro Stunde“, sagt Matthias Günther, Leiter der Pestel-Studie. Er erwartet, dass der Zuwachs an Kaufkraft nahezu eins zu eins in den Konsum gehen würde.
Für die Gewerkschaften Verdi sowie Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind diese Ergebnisse ein Argument für die sofortige Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Beide Gewerkschaften hatten die Untersuchung in Auftrag gegeben. „Wer den ganzen Tag arbeitet, muss mit dem, was er verdient, auch klarkommen können. Das klappt aber nicht, wenn Dumpinglöhne gezahlt werden. Und ein Dumpinglohn ist alles unter 8,50 Euro pro Stunde“, sagt der Geschäftsführer des Verdi-Bezirks, Ortwin Bickhove-Swiderski.
Andere Einschätzung
Zu einer ganz anderen Einschätzung über den Mindestlohn kommen die für die Bottroper Region zuständigen „Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen“. Für sie verhindern gesetzliche Mindestlöhne eine „produktivitätsorientierte Entlohnung einfacher Tätigkeiten, vernichten bestehende oder potenzielle Arbeitsplätze gerade für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose“.
In einer Stellungnahme weisen die Verbände darauf hin, dass „98 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen“. Arbeitnehmern, die dies etwa wegen fehlender Qualifikation nicht erzielen könnten, gewährleiste das Arbeitslosengeld II ein Mindesteinkommen – „umgerechnet auf eine Vollzeitstelle in Höhe von rund 5,50 Euro für Alleinstehende und für Verheiratete mit zwei Kindern von fast elf Euro pro Stunde.“
Die Gewerkschaften bezeichnen diesen Umstand als staatlich subventioniertes Lohndumping. Yvonne Sachtje, Geschäftsführerin der hiesigen NGG: „Lohndumping-Arbeitgeber lassen sich ihre Geiz-Löhne vom Steuerzahler subventionieren, wenn Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeit- oder Vollzeitjob haben, aber so wenig verdienen, dass der Staat Hartz IV drauflegen muss.“
Die Arbeitgeber halten dagegen: „Mehr als 80 Prozent der vollzeitbeschäftigten ,Aufstocker’ beziehen nicht wegen niedriger Stundenlöhne ergänzende Mittel, sondern weil sie familiär bedingt einen erhöhten Grundbedarf haben.“
Die Gewerkschaften NGG und Verdi appellieren an alle Beschäftigten, die in Bottrop zu einem Niedriglohn arbeiten, diesen online beim Dumpinglohnmelder anzuzeigen. Er ist im Netz unter www.dumpinglohnmelder.de zu finden. Beide Gewerkschaften wollen noch vor der Bundestagswahl eine „Deutschland-Billiglohn-Landkarte“ vervollständigen.