Jahrzehntelang wurde in Vonderort und Lehmkuhle ausgesandet. Der Sand wurde während der Industrialisierung dringend benötigt und galt als der beste. Die Landschaft in den südlichen Stadtteilen veränderte sich dadurch.
Der Bergbau hat das Ruhrgebiet verändert – stimmt. Aber Teile Bottrops sind gar nicht so sehr vom Bergbau geprägt sondern vom Formsandabbau. In den südlichen Stadtteilen Vonderort und Lehmkuhle wurde über Jahrzehnte dieser für die Gießereien wichtige Sand abgestochen. Es entsanden tiefe Gruben. Und noch heute erinnert einiges an die Geschichte der Sandgräberei in der Stadt. Ein Beispiel: Der Straßenname „An der Sandbahn“ im Stadtteil Lehmkuhle. Er bezieht sich tatsächlich auf die Sandbahn – die Loren die dort entlang über die Essener Straße in Richtung Bahngleise führte. Oder die weiße Villa im Park an der Bogenstraße, den meisten Bottropern bekannt als „Villa Dickmann“. Letzteres ist schließlich der Name, der für viele untrennbar mit dem Abbau von Sand in Bottrop verbunden ist.
Westfälische Sandgräberei
Die Sandgräberei Dickmann geht zurück auf Heinrich Dickmann, der 1839 ein Firma gründete, um die Post mit Kies zu beliefern, die damit ihre Wege ausbesserte. Ab den 1850er-Jahren begann dann in Osterfeld und Bottrop der Formsandabbau in großem Stil. Die Unternehmen Dickmann und Kleine Brockhoff begannen daraufhin mit dem Abbau, später verbündete sich Dickmann mit Gerhard Kleinefenn, einem weiteren Unternehmer. Die beiden gründeten später gemeinsam mit anderen Unternehmen eine weitere Firma, die „Westfälische Sandgräberei“.
Die Gruben der Firmen lagen im heutigen Vonderort. Anfangs in Osterfeld, später in Bottrop. Dirk Hellmann, Ur-Ur-Enkel von Heinrich Dickmann und heute Prokurist der Fa. „Frau August Dickmann“, hat die Geschichte des Formsandabbaus – die eng verbunden ist mit der eigenen Familiengeschichte – aufgeschrieben. Auf einer Karte hat er sämtliche Gruben von Kleinefenn, Dickmann und der Westfälischen Sandgräberei markiert. „Das gesamte Gebiet des heutigen Revierparks wurde ausgesandet“, erklärt Hellmann. Auf beiden Seiten der heutigen Bottroper Straße wurde der Sand abgebaut, später wanderte die Grube auf das Gebiet des heutigen Gesundheitsparks ans Knappschaftskrankenhaus. Auch an Landwehr und Quellenbusch wurde Sand gewonnen. „Dabei entstanden natürlich riesige Löcher, die wieder verfüllt werden mussten.“ Häufig habe man zu Waschbergen gegriffen, aber auch Müll und Schutt wurden zur Verfüllung genutzt.
Ganz Straßenzüge verschwanden in den Sandgruben
Auch der heutige Recyclinghof Donnerberg am Südring geht zurück auf die Westfälische Sandgräberei. Die hat die Flächen ausgesandet und 1977 an die Stadt verkauft, die hier die Mülldeponie eröffnete und die Grube verfüllte. Theoretisch jedoch hätte die Sandgräberei im Bereich des Donnerbergs noch bis 1995 aussanden dürfen. Dieses Recht hatte sie sich beim Verkauf zusichern lassen.Der Tagebau veränderte die südlichen Stadtteile sehr. Teilweise mussten ganz Straßen weichen.
Schaut man sich alte Stadtpläne an, stößt man auf Straßennamen wie Donnerbergstraße, Groenhoffstraße, Formstraße oder Gustav-Nachtigall-Straße – sie existieren nicht mehr, weil hier Sand abgebaut wurde. Auch Häuser, die hier standen, wurden abgerissen. Andere Straßen verschwanden zwar nicht ganz, wurden aber „kurzzeitig aufgehoben“, waren nicht mehr benutzbar und mussten später von den Sandgräbereien wieder hergestellt werden. Das galt unter anderem für die Vonderorter Straße. Später war es schwierig, ganze Straßen aufzuheben. Stattdessen baute man Tunnel. So konnten die Loren unter den Straßen hergeführt werden.
Abbau noch bis ins Jahr 1986
Zu Hochzeiten waren im Formsandabbau in der Region gut 600 Leute beschäftigt, sagt Dirk Hellmann, der für seine Nachforschungen das Firmenarchiv durchforstet hat. „In den Gruben von Dickmann und Kleinefenn in Osterfeld waren es um 1900 rund 400 Arbeiter, bei der Westfälischen Sandgräberei arbeiteten zu der Zeit rund 200 Leute.“
Die Arbeiter standen oben am Rand der Grube und stachen den Sand mit dem Spaten ab. Der fiel zu Boden und wurde dort in die Loren verladen. Schritt für Schritt arbeiteten sich die Männer dann nach unten auf den Grund der Grube vor. Waren sie dort angekommen, kraxelten sie wieder nach oben und begannen von vorn. Eine Sandgrube konnte durchaus 20 bis 30 Meter tief sein.
Mit der Sandbahn zur Eisenbahn
Die Sandbahn schaffte den abgestochenen Sand zur Bahn. In Osterfeld hatten die Firmen Dickmann und Kleinefenn eigens einen Gleisanschluss, die Westfälische Sandgräberei hatte einen eigenen Anschluss am Bottroper Bahnhof. Von dort wurde der Formsand zu Kunden in ganz Deutschland geliefert, „denn der Bottroper Formsand galt als der beste“, so Hellmann. Auch Anfragen aus Übersee habe es gegeben. „Aber es kam meines Wissens nicht zu Lieferungen, weil der Transport zu aufwändig und teuer war.“
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1954 setzte die Westfälische Sandgräberei auf den Abbau mit dem Bagger. In den Gruben in Osterfeld und Vonderort, die von den Firmen Dickmann und Kleinefenn in Eigenregie betreiben wurden, war das schon längst üblich. Bereits im Jahr 1911 hatte man hier den ersten Dampfbagger angeschafft.
Noch bis 1986 wurde in Bottrop Formsand abgebaut. Verantwortlich dafür war dann die Westfälische Sandgräberei, deren Alleingesellschafter inzwischen die Familie Dickmann war. Als dann die Eisenwerke Brühl auf synthetischen Formsand umstellten, war das das Aus für die Bottroper Gruben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Sand besonders gefragt
Der Formsand wurde in den Gießereien benötigt um daraus dann die Gussformen herzustellen. Der natürliche Formsand enthält als Bindemittel Ton. Je nach Tongehalt wird unterschieden zwischen mageren, mittelfetten und fetten Formsanden. Der in den Osterfelder Gruben geförderte Formsand galt als besonders fett.
Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Nachfrage der Stahlindustrie nach Sand. In der Grube Osterfeld – obwohl sie auf Bottroper Gebiet lag wurde der Name beibehalten – wurden bis zu 1200 Tonnen gefördert, in Bottrop 600.