Bottrop.



Der Turm der Herz Jesu-Kirche im Süden der Stadt gehört zu den weithin sichtbaren Landmarken - und zwar aus einer Zeit, als an Tetraeder und Co. entlang der Emscherzone noch gar nicht zu denken war.

Vor 85 Jahren begann der Neubau dieser bis heute größten Bottroper Kirche nach den Entwürfen des Architekten Josef Franke. Dem Vorgängerbau von 1902 – einer ebenfalls das Stadtbild prägende Kirche im damals vorherrschenden neugotischen Stil – war kein langes Leben beschieden. Der Bergbau nagte an den Fundamenten. Notdürftige Reparaturen erwiesen sich nicht als dauerhafte Lösung. Schließlich musste die Kirche 1909 für immer geschlossen werden. Abgerissen wurde sie allerdings erst 1927.

Fensterrose mit alter Bleiverglasung

Das allein wäre Grund genug, dem Bau einen Beitrag in der Serie „Verschwundene und vergessene Orte“ zu widmen. Aber die Geschichte geht weiter und die heutigen Kirche deckt sogar beide Aspekte ab. Denn der Turm der alten Herz Jesu-Kirche ist zugleich verschwunden und (fast) vergessen – aber dennoch da.

Gregor Lohe und Gerhard Mattedi – beide langjährige und engagierte Gemeindemitglieder – wissen mehr. „Hinter der wuchtigen Schale des heutigen Turms verbirgt sich der alte, gotische Turm, den man damals nicht abbrechen wollte“, sagt Gregor Lohe. Zwar sei die gesamte Kirche – damals noch fast revolutionär – komplett aus Beton errichtet worden, die Klinker seien nur Blendwerk. Aber der Turm sollte bleiben. Bis heute trägt die erste Konstruktion die Glocken. Das „moderne“ Äußere ist nur Fassade.

Der Zugang zum Turm liegt hinter eine kleinen Tür in der zeitgenössisch gestalteten Turmkapelle mit einer große Holzpieta. Wer hindurch darf, erreicht über 82 schmale Stufen das erste Turmgeschoss - und staunt: Ein hohes Kreuzrippengewölbe, einer fast vollständig erhaltenen neugotische Fensterrose mit überwiegend intakter farbiger Bleiverglasung. Verglichen mit dem Kirchenschiff eine andere Welt: eben ein Nachbau des Mittelalters. So wollte es die offizielle Bau-Doktrin der Kirche bis ins 20. Jahrhundert hinein. Gotisch oder romanisch sollte es sein. Ein Schwelgen in Stilen der Vergangenheit, wie es auch bei den meisten Profanbauten etwa bis zum ersten Weltkrieg üblich war.

„Bei der letzten Renovierung sollte das Gewölbe von unten wieder sichtbar gemacht werden“, erinnert sich Gerhard Mattedi. Doch das wäre letztlich zu teuer geworden.

So birgt der Turm bis heute sein Geheimnis. Halbvergessen, dem Blick entzogen. Der Zugang weiter nach oben ist mühsamer. Aber es lohnt. Auch wegen des Blicks vorbei an den Glocken auf die Stadt.