Prälat Rolf Linse begründete die Indienhilfe mit Realschülern. Sie bestehtseit 40 Jahren. Heute ist der Kirchenmann schon eine Institution in der Stadt

Indien ist 10 000 Kilometer von Bottrop entfernt, ein ferner Kontinent, eine andere Welt. Doch für zig Bottroper Bürger und ehemalige Realschüler ist Indien sehr nah, so nah, dass sie sich seit Jahren für Hilfsprojekte für behinderte und verarmte Kinder in Indien einsetzen. Begeistert dafür hat sie alle Prälat Rolf Linse. In Bottrop ist der 79-jährige Kirchenmann inzwischen so etwas wie eine Institution.

Wenn er mit dem Stand der „Indienhilfe Bottroper Realschüler“ auf dem Wochenmarkt steht, wird er ständig begrüßt. Passanten kaufen Tee aus fairem Handel oder ein Spiel, das er als Geschenk erhielt und nun gegen einen Obolus weitergibt; andere winken im Vorbeigehen zu. Prälat Linse und seine Indien-Hilfe ist für viele Menschen fester Bestandteil des Marktes.

Vor genau 40 Jahren startete er aus dem Nichts mit der Hilfs-Aktion. Inzwischen unterstützt er 49 Projekte in zehn indischen Bundesstaaten, 3,3 Millionen sammelte er in den Jahren zusammen. Davon wurden 88 Gebäude gebaut, Fahrzeuge finanziert, Menschen aus der Schuldknechtschaft freigekauft, jungen Frauen durch Mitgift-Zahlungen die Heirat ermöglicht.

Die Schwerpunkte liegen jedoch in der Hilfe für behinderte Kinder und Jugendliche. „Wir haben vier Schwerpunkte“, erklärte Prälat Linse. Zum einen sei das die Berufsausbildung behinderter Mädchen und Jungen. Zum anderen ermögliche die Indienhilfe armen Kindern einen Schulbesuch. „Wir bezahlen Schuluniformen, Bücher oder übernehmen das Schulgeld.“ Außerdem erhielten mittellose Patienten Medikamente oder Krankenhaus-Aufenthalte. Und schließlich übernähme die Hilfe Studien-Kosten von den Ordens-Schwestern, die später die Ausbildung der behinderten Kinder übernähmen.

Angefangen hat alles 1972. Da war Rolf Linse noch Kaplan. In seinem Haushalt wohnte zeitweise ein Karmeliterpater aus Kerala, dem südlichsten Bundesstaat Indiens. Er wollte einem Mitbruder in Indien helfen, der eine Initiative gegründet hatte, um behinderte Jungen zu Schneidern auszubilden. 6000 DM fehlten. Linse versprach Hilfe. Er holte gusseiserne Öfen gegen Entgelt aus Wohnungen, sammelte Altpapier, veranstaltete Basare – bis 6000 DM zusammen waren. „Das war das erste Projekt“, erinnert er sich.

Lange habe er sich geweigert, selbst nach Indien zu fahren, erzählt der Priester. Niemand sollte auf die Idee kommen zu glauben, für den Flug würden eventuell Hilfs-Gelder ausgegeben. Erst sechs Jahre später, als der Pater in Indien auf sein hohes Alter hinwies, als er Linse bat, den Grundstein für eine neue Herberge für ein Hilfs-Projekt zu legen, da sei er hingeflogen, in den Herbstferien 1978. „Als ich zurückkam und meine Mutter und mein Bruder mich am Flughafen abholten, konnte ich kein Wort herausbringen“, erzählt er. „Die Verstümmelungen, die vielen Kinderlähmungen, die ich gesehen hatte, die haben mir sehr stark zugesetzt.“ Erst am folgenden Tag habe er der Familie von den Erlebnissen berichten können. Inzwischen jedoch kennt er jedes einzelne der vielen Projekte.

In Bottrop, wo Linse bis 1997 als Realschulpfarrer unterrichtete, habe er sehr schnell Schülerinnen und Schüler gefunden, die sich für die Sache begeisterten. Und viele seiner ehemaligen Schüler beteiligten sich bis heute über Spenden an der Hilfs-Aktion.

Indien, ein anderer Kontinent, doch für viele Bottroper Bürger längst keine andere Welt mehr. Die Indien-Hilfe machte aus beiden Teilen der Erde eine einzige Welt.