Der junge Pianist Alexandre Tharaud überrascht mit einem Scarlatti-Couperin-Ravel-Programm.
Da sieht man wieder, wie ein Könner mit Vorurteilen aufräumt. Domenico Scarlatti, viel schreibender Komponist aus dem frühen 18. Jahrhundert, gilt als Wegbereiter für große Musiker und als Künstler, mit dessen Stücken sich Pianisten gern „warm spielen“. Bei dem Franzosen Alexandre Tharaud hörte sich der Italiener anders an: als ein Großer, ein Eleganter, ein Komponist für einen Kosmos an Stimmungen.
Zehn Sonaten Scarlattis interpretierte Tharaud quasi pausenlos im ersten Teil seines ungewöhnlichen Programms beim Klavierfestival Ruhr, das das Debüt dieses leicht und elegant sich artikulierenden Solisten nach Bottrop legte. Das Publikum im ausverkauften Kammermusiksaal reagierte begeistert – Tharaud bedankte sich mit drei Zugaben - noch einmal Scarlatti.
Ein Raum mit Intimität
Man kann dem früheren Baudirektor Bernhard Küppers gar nicht dankbar genug dafür sein, dass er im August-Everding-Kulturzentrum diesen akustisch hervorragenden Raum schuf. Nicht zuletzt wegen dieses Vorzuges und seiner Intimität gastiert Intendant Franz-Xaver Ohnesorg gern mit dem Festival in Bottrop. Tharaud prüfte den Ort auf seine „leisesten“ Qualitäten hin: Der Saal bestand diese Prüfung exzellent.
Scarlatti streichelte der Gast wie mit einer Klangfeder, die über die Haut gleitet: sinnlich und zart. Damit löste er Gänsehaut-Empfindungen aus. Tharaud stellte in seinem Part die Frage, wohin denn die Reise dieses Komponisten gehen würde. Musik also vor dem Absprung – aber wohin? - Zur dramatischen Geste, zur romantischen Noblesse, zur klassischen Zielgeraden.
Der Pianist antwortete außerdem: Scarlatti bietet in den knapp formulierten Sonaten jede Menge Pointen und Überraschungen zwischen Etüde und Charakter.
Nach der Pause trat Tharaud in einen so noch nicht vernommenen Dialog ein. Auf Francois Couperins für Cembalo gedachte höfische „Pieces“ antwortete er wechselweise mit Sätzen aus Maurice Ravels Couperin-Resonanzen („Le tombeau de Couperin“, 1917).
Grabes- und Trauermusik, aber durchaus tänzerisch und modern durchpulst, wählte Ravel in Kriegszeiten aus, um den Altmeister zu ehren – und aus dessen Kompositionen die eigenen Schlüsse zu ziehen. Das war von starkem, aber in keinem Moment aufdringlichen Reiz, vor allem durch die geistig-musikantische Attitüde des längst international gefeierten Künstlers.
Charme-Offensive
Erholung und Schlichtheit bei Couperin, Anspannung und Kühnheit bei Ravel – dieses aufregende und animierende Spiel hielt der Pariser Tharaud, Jahrgang 1968, auf höchstem pianistischen Niveau durch. Er bestätigte bei diesem Recital, dass er zu den Galanten mit Charme-Offensive auf den Tasten zählt.