Bottrop. .

Das Jugendamt geht bei der Inobhutnahme von Kindern nach Ansicht von Anwälten oft rechtswidrig vor. Es „wurden zahlreich Kinder in Obhut genommen, ohne Familienrichter einzuschalten“, hob Rechtsanwältin Waltraud Dahl in einem Schreiben an die WAZ hervor.

Die Fachanwältin für Familienrecht widerspricht Paul Ketzer, dem stellvertretenden Chef der Stadtverwaltung, ausdrücklich. Ketzer hatte im Rat behauptet, es handele sich um Einzelfälle. „Allein aus meinem Aktenschrank könnte ich mehrere Verfahren benennen“, erklärte die Juristin. Bei anderen Familienanwälten sei dies auch so. „Die Aussage Herrn Ketzers ist daher eindeutig falsch“, schreibt die Anwältin.

Wie die WAZ berichtete, hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in zwei Streitfällen geurteilt, dass die Inobhutnahme des jeweiligen Kindes durch das Jugendamt rechtswidrig war. Denn das Jugendamt hatte die Fälle vorher nicht wie vorgeschrieben einem Richter zur Entscheidung vorgelegt. Beigeordneter Ketzer betonte nun, dass dies nicht gängige Praxis der Stadt sei.

Familienrichter schrieben Brief an die Verwaltung

Rechtsanwalt Matthias Nölting warf der Stadt hingegen vor, dass die se Umgehung der Familienrichter „ständige Praxis des Jugendamtes“ sei. Auch Rechtsanwältin Waltraud Dahl weist nun darauf hin, dass die Familienrichter häufig erst von den Rechtsanwälten informiert werden, nachdem das Jugendamt Eltern die Kinder weggenommen habe.

„Tatsache ist, dass sich bereits im Jahr 2009 erstmals Familienrichter mit einem Brief an die Verwaltung gewandt haben, um auf die rechtswidrigen Praktiken bei Inobhutnahmen von Kindern durch das Jugendamt der Stadt hinzuweisen“, betont Waltraud Dahl. Auch der Bottroper Anwaltsverein habe in dem Streit die Initiative ergriffen, weil „die Praxis der Inobhutnahme ohne vorherigen richterlichen Beschluss offenbar zum Standard wurde“.

Familienanwälte halten die Situation für unerträglich

Es habe wegen dieses umstrittenen Vorgehens seit 2010 mehrere Gespräche mit der Stadt, dem damaligen Jugendamtsleiter und Mitarbeitern des Allgemeinen Sozialen Dienstes gegeben. Auch Oberbürgermeister Bernd Tischler sei informiert worden. „Dies geschah nicht, weil es hier um Einzelfälle geht, sondern weil Familienrichter, Familienanwältinnen, die Situation für unerträglich hielten“, stellt die Juristin heraus. „In einigen Fällen legten die Familienrichter der Stadt sogar die Kosten für die Verfahren auf, in der Hoffnung“ auf diese Weise ein Einsehen zu erreichen.

Viele Eltern haben nicht die Kraft, sich zur Wehr zu setzen

Dass das Verwaltungsgericht bisher in nur zwei Fällen urteilte, dass das Jugendamt rechtswidrig gehandelt hat, liegt an den Rechtswegen, die zu gehen sind. Familienrichter entscheiden darüber, ob eine Inobhutnahme für das Kindeswohl erforderlich sei, erklärte seinerzeit Rechtsanwalt Joachim Sturm, der eines der beiden Urteile gegen die Stadt erstritten hatte. Die meisten Eltern geben sich damit dann zufrieden. Dass das Vorgehen des Jugendamtes aber auch rechtswidrig war, stelle wiederum das Verwaltungsgericht fest, an das sich die betroffenen Eltern aber nur selten wenden. „Viele Eltern, die von Maßnahmen des Jugendamtes betroffen sind, haben weder die Kraft noch die Ressourcen, sich teilweise über Monate und Jahre zur Wehr zu setzen“, begründet Rechtsanwältin Waltraud Dahl diese Zurückhaltung.

Die beiden Urteile rufen Parteien auf den Plan

Die beiden Urteile gegen die Stadt rufen auch die Ratsparteien auf den Plan. So will die ÖDP das umstrittene Vorgehen des Jugendamtes im Jugendhilfeausschuss zum Thema machen. Die ÖDP sei vor allem irritiert darüber, dass das Jugendamt offenkundig rechtswidrig handele, begründete Fraktionssprecherin Marianne Dominas dies. „Das Jugendamt wird zu einer Bedrohung für Eltern anstatt Hilfen anzubieten“, sagte DKP-Ratsherr Michael Gerber. Seine Partei fordert daher, dass das Jugendamt vor der Inobhutnahme von Kindern den Beschluss des Familiengerichtes einholt.

Wie berichtet, hat Beigeordneter Paul Ketzer diese Anweisung dem Jugendamt ja nun erteilt.

Erziehung der Kinder ist ein Grundrecht

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. (Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz). Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft

Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (Artikel 6 Abs. 3 Grundgesetz)