Bottrop. .

„Armut ist nicht zu sehen, aber sie ist da“, sagt Daniela Jentsch. Die 28-Jährige bekennt sich selbstbewusst zu ihrer Situation, arm zu sein. Denn Tatsache ist: Trotz Wirtschaftswachstum nimmt die Armut zu - vor allem im Ruhrgebiet. Der Armutsbericht, den der Paritätische Wohlfahrtsverband im Dezember 2011 vorlegte, belegt das mit Zahlen: Demnach stieg die Quote der Menschen, die von Armut bedroht sind, von 2005 bis 2010 in der Emscher-Lippe-Region von 17,7 auf 18,3 Prozent. „In Bottrop sind etwa 20 000 Menschen betroffen“, schätzt Andrea Multmeier, Geschäftsführerin des Verbandes in Bottrop.

Die meisten Menschen rutschen durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit in die Armut. Oftmals ging es ihnen zuvor ganz gut - so wie Daniela Jentsch: Nach der Fachoberschulreife mit Qualifikation machte sie eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau für Uhren, Schmuck und Juwelen. Jahrelang lief der Alltag, Daniela heiratete, ihr Mann verdiente gut. Doch mit der Geburt ihrer Tochter Lena 2007 riss der Glücksfaden: Ihr Mann verlor seinen Job und die Ehe zerbrach. „Seither begleiten mich Arbeitslosengeld und Hartz IV“, erzählt die junge Mutter. „Zum Leben ist’s zu wenig, zum Sterben zu viel.“ Immerhin hat Daniela vor kurzem wieder eine Teilzeitstelle im Einzelhandel gefunden. „Dennoch bleiben mir im Monat nur etwa 1100 Euro für Lebensunterhalt, Miete, Kleidung, usw.“, so Jentsch. „Ohne die Unterstützung meiner Eltern und meines Freundes, der schon mal den Kühlschrank füllt, wüsste ich gar nicht, wie ich alles bewältigen sollte.“

Ute Schramm hatte einst wunderschöne Träume, wollte Maskenbildnerin werden und viel Geld verdienen. Doch daraus wurde nichts: Nach Hauptschulabschluss und abgebrochener Ausbildung im Einzelhandel, arbeitete sie mal als Kassiererin oder Floristin, mal in Montage, Gaststätte oder Behindertenarbeit und verdiente zwischendurch „richtig viel Geld.“ Mit 20 Jahren bekam sie ihr erstes Kind, fünf Jahre später das zweite.

Heute blickt die 48-Jährige auf drei gescheiterte Ehen zurück, kümmert sich um drei eigene Kinder und ein Enkelkind, versucht Alltag, Kindererziehung und den Schuldenberg ihrer Ex-Ehemänner zu bewältigen. „Für den Lebensunterhalt bleiben mir etwa 1100 Euro im Monat“, berichtet die Alleinerziehende. „Das geht nur, weil ich intensiv Prospekte studiere und dann alle Geschäfte nach Sonderangeboten abklappere.“

Der Wecker der 48-Jährigen schrillt morgens um sechs, um Mitternacht kehrt langsam Ruhe ein. Trotzdem möchte Ute Schramm unbedingt wieder arbeiten - vielleicht in der Behindertenarbeit oder Altenpflege - und den Spagat zwischen Familie und Arbeit schaffen, um sich aus ihrer bedrängenden Situation zu befreien. „Ich möchte doch vor allem den Kindern ein besseres Leben ermöglichen. Aber es ist immer ein Abwägen, wer jetzt was nötiger braucht. Ich kann einfach nicht alles gleichzeitig stemmen“, erzählt Schramm und stellt fest, dass Armut vor allem für Kinder grausam ist. „Wenn sie älter werden, schämen sie sich, wenn Mitschüler mitbekommen, dass bei uns das Geld fehlt, dass die Teilnahme an einer Klassenfahrt nicht selbstverständlich ist.“

Die beiden Frauen sind sich sicher, dass sie mit ihren Schicksalen nicht allein sind, die Dunkelziffer armer Menschen hoch ist. „Es gibt so viele Familien, die sich nicht eingestehen wollen, arm zu sein“, meint Jentsch. „Es gibt keine Mittelschicht mehr, sondern nur noch arm und reich!“

Um Armut zu begegnen, fordert der paritätische Wohlfahrtsverband Mindestlöhne, Ausbau der Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose, Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV und Sicherung der Bildungschancen benachteiligter Kinder. Multmeier: „Vor allem muss die soziale Infrastruktur ausgebaut werden, Kinder in benachteiligtem Umfeld aufzufangen.“