Bottrop.

Das Jugendamt Bottrop nahm sein Baby in Obhut, und der Vater lief dagegen Sturm. Der 41-Jährige wandte sich damals an die Boulevard-Presse, stellte das Jugendamt an den Pranger. Heute nimmt er die Unterstützung an, seine Tochter darf bei ihm leben.

Sie hießen Kevin, Lea-Sophie oder Jessica, und ihr Leben endete qualvoll und viel zu früh. Weil die Eltern überfordert waren, aber auch, weil Jugendämter zu spät reagierten.

Welcher Druck vor diesem Hintergrund auf dem Amt lastet, ist Jörg H. bewusst: „Ich verstehe das Jugendamt doch auch. Wie sie es machen, machen sie es verkehrt. Wenn sie nichts machen und es geht schief, dann bekommen sie extremen Ärger“, sagt der 41jährige Vater einer Tochter. In seinem Fall blieb das Jugendamt nicht untätig: Im Mai 2010 erschienen zwei Mitarbeiter kurz nach der Geburt des Kindes im Marienhospital und nahmen das Baby gegen den Willen der Eltern in Obhut.

H. lief damals Sturm gegen diese Entscheidung und wandte sich an die Boulevardpresse; das Bottroper Baby schrieb bundesweit Schlagzeilen. Das Jugendamt stand in der Berichterstattung am Pranger, verzichtete aber darauf, seine Handlungsweise öffentlich zu erklären. Was in einem schwebenden Verfahren angebracht sei, betont Abteilungsleiterin Kerstin Stiewe. In den folgenden Monaten beschäftigte die Auseinandersetzung der Eltern mit dem Jugendamt mehrmals die Justiz.

"Ich habe es dem Jugendamt auch nicht leicht gemacht"

Ein Jahr später haben sich die Verhältnisse gründlich verändert. Statt mit dem Jugendamt setzt sich der Vater nun gerichtlich mit der Mutter auseinander, die sich von ihm getrennt hat. Die Tochter lebt bei ihrem Vater, beide werden im Auftrag des Jugendamtes betreut vom Haus Flex, einer Einrichtung der Jugendhilfe. Flex-Leiter Hermann Muss: „Die Hilfen, die das Jugendamt damals der Familie angeboten hat, werden heute praktiziert.“

Mit dem Einverständnis des 41-jährigen Vaters, der leidlich Frieden geschlossen hat mit dem Jugendamt. Dessen harte Linie kritisiert er nach wie vor, räumt aber eigene Fehler ein: „Ich hab’ mich auf nichts eingelassen. Ich habe es dem Jugendamt auch nicht leicht gemacht.“ Das Vorgehen des Amts hat für Flex-Leiter Muss im Rückblick zwei Seiten: „Das System Hilfe für das Kind hat funktioniert. Was nicht funktioniert hat, waren Kommunikation und Vermittlung.“

Die Weichen für missglückte Kommunikation wurden bei der In-Obhut-Nahme des Kindes im Marienhospital gestellt. Jörg H. fühlte sich überrumpelt und in die Ecke gedrängt; die Mutter war nach der Geburt kaum ansprechbar. „Ich bin laut, aber nicht aggressiv“, sagt Jörg H. über sich selbst. Das hätten aber ihre Mitarbeiter nicht wissen können, stellt Kerstin Stiewe fest. Ihre Kollegen mussten entscheiden, ob der hilflose Säugling bei den Eltern in guten Händen war. Bei einer 18-jährigen Mutter, über deren Probleme - wie Kerstin Stiewe andeutet - das Jugendamt zum Zeitpunkt der Geburt mehr wusste als der Vater, der im Krankenhaus völlig die Beherrschung verlor. Kerstin Stiewe hält die Entscheidung ihrer Kollegen für richtig.

Unter einem Dach mit fünf Huskys

Nach dem ersten Gerichtstermin konnten die Eltern die Tochter mitnehmen - unter der Auflage, zum Jugendamt Kontakt zu halten. Täglich besuchte eine Familienhebamme die Eltern und unterstützte die Mutter, auch eine Mitarbeiterin aus dem Haus Flex betreute die junge Familie. Der Vater fühlte sich kontrolliert: So intensiv hätte die Fürsorge nicht sein müssen, glaubt er. Kerstin Stiewe ist anderer Meinung.

Denn das Jugendamt habe registriert, dass zwar das Baby gut versorgt wurde, sich aber die Verhältnisse im Umfeld besorgniserregend entwickelten. Die Familie lebte unter einem Dach mit Jörg H.’s fünf Huskys, an denen der Vater sehr hing. Meldungen von Nachbarn, die sich beim Veterinäramt über die Hundehaltung beschwerten, und eigene Beobachtungen bestärkten das Jugendamt in der Überzeugung, dass eine intensive Beobachtung der Situation geboten war. Auch litt die Familie unter Geldmangel, nachdem das Sozialamt wegen des Verdachts auf Sozialhilfe-Betrug seine Zahlungen an die 18-Jährige eingestellt hatte. Jörg H. war arbeitslos. Das Landessozialgericht setzte schließlich fest, dass die Mutter wieder mit Sozialhilfe unterstützt wurde.

Im März 2011 trennte sich die Mutter vom Vater und nahm das Baby mit. Nun war es Jörg H., der sich Sorgen um das Baby machte. Die Familienhebamme stärkte ihm den Rücken, und er suchte Hilfe beim Jugendamt. Dessen Mitarbeiter nahmen Kontakt auf zu der jungen Mutter und behielten sie und ihr Kind im Auge; auch der Vater besuchte beide regelmäßig.

Im April sprach der Familienrichter Jörg H. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sein Kind zu. Vater und Tochter zogen in eine kleine Wohnung ein, die das Jugendamt bezahlt, und werden seitdem vom Haus Flex unterstützt. Mit Flex, sagt er, komme er besser klar. Das Jugendamt kann damit leben. Der 41-Jährige sucht eine Anstellung, und seine Tochter wird ab September im Kinderhort betreut. Er fühlt sich reifer und erwachsener als vor einem Jahr. „Im Moment geht alles sehr gut“, sagt er.

Das Gerichtsverfahren um das Sorgerecht für die Tochter ist noch nicht entschieden.