Bottrop.

Francesco Tristano scheren keine Stil- und Genreprobleme. Und er ist in keinem Moment in seinem Recital im praktisch ausverkauften Kammermusiksaal ein Krawallmacher auf den Tasten.

Nein, Francesco Tristano (so sein Künstlername, eigentlich folgt als Nachname noch Schlime´) kommt auf leise Weise, ohne die Intensität des musikalischen Augenblicks, der „moments musicales“, aufzugeben. Er beeindruckt, ja er fasziniert sogar - auch wenn er Johann Sebastian Bach in seinem kühnen Programm modern (aber niemals modisch!) verfremdet.

Der Abend erinnert an ein Konzert vor Jahren an gleicher Stelle, als Ulrich Löffler von der exzellenten „musikFabrik NRW“ mit Werken von Cage, Satie und Feldman u.a. gastierte. Doch wo dieser Pianist Kraft, Energieblöcken und gestischen Klangeruptionen vertraut, bleibt der 30-jährige Luxemburger zurückhaltend, in sich ruhend, fast unspektakulär. Francesco Tristano, 2009 Debütant beim nach wie vor modellhaften und als Konzertmarathon einmaligen Klavierfestival Ruhr, liebt es meditativ, introvertiert, lyrisch.

Spannend differenziert

In diesen Registern differenziert er ungemein spannend und behält sich ein Programm wie eine Gesamtimprovisation vor. Ein Schuss Jazz, eine Prise Swing, eine Reihe von „blue notes“ - so gibt er sich ein unkonventionelles, allgemeingültiges Verständnis, das das 21., das 20. und das 18. Jahrhundert miteinander versöhnt und ein „bewegtes“ Dialogbild zwischen Bach und John Cage sowie Eigenkompositionen als Selbstverständnis liefert.

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Von DerWesten

Tristano, vor allem an der New Yorker Elite-Akademie der Julliard School ausgebildet, begann mit einem selbst verfassten „Introitus“, in dem er quer durch die Epochen bis heute spaziert; dann die erste Hommage an den Barockmeister aus Leipzig - Bachs Partita Nr. 1, der später noch vier Bachsche Duette (BWV 802 bis 805) und die siebensätzige Partita Nr. 6 mit der im höchsten Schwierigkeitsgrad angesiedelten Fuge im Finale folgten. Dazwischen sein Favorit für zeitgenössische Extravaganzen: John Cage („In a landscape“ und das von indischer Kultur inspirierte „The Seasons“) - der damalige Provokateur wirkt bei Tristano wie ein Musterknabe in der Tradition des großen Bach. Der Pianist hat sogar einmal behauptet: „Es gäbe keinen Cage ohne Bach und wahrscheinlich auch keinen Bach ohne Cage“... Darüber kann man wunderbar einmal nachdenken. Bach war sicherlich weit seiner Zeit voraus - aber ob er nicht auch ohne Cage genau so wertvoll und wichtig sein würde?

Wie dem auch sei: Der pianistische Tanz am Vulkanrand der Epochen-Heroen gelingt ihm so elegant wie seriös, so konzentriert wie spielerisch. In seinen beiden Zugaben (eine mit rollendem Bass aufwartende Eigenkomposition und noch einmal eine schlichte Bach-Verbeugung) bestätigt er die Kunst des verinnerlichten Glanzes - Poesie ohne eitle Glitzerei nach außen. Das Haus feierte den jungen Solisten minutenlang.