Bottrop. .
Thilo Sarazzin hat die Integrationsdebatte angeheizt. Politiker aller Fraktionen bemühen sich um Schadensbegrenzung. Statistiker führen Zahlen an, um die umstrittenen Thesen zu untermauern oder zu widerlegen.
- Alles nur Theorie. In Bottrop versuchen sich junge Ausländer tagtäglich aufs Neue zu integrieren. Im Integrationskurs der Volkshochschule lernen sie deutsch, beschäftigen sich mit Politik und Geschichte und sprechen über ihre Alltagserlebnisse.
„Als ich gehört habe, dass es so etwas wie Gleichberechtigung gibt, war ich begeistert. Aber das, was im Gesetz steht und das, was auf der Straße passiert, ist etwas anderes“, meint Khadija Bousfia. „Obwohl wir uns Mühe geben, uns zu integrieren, werden wir isoliert. Wenn man zum Beispiel eine Wohnung sucht, reicht häufig schon das Kopftuch, damit Leute sagen, sie wollen nicht neben uns wohnen“, klagt die junge Marokkanerin in nahezu tadellosem deutsch. „Wenn in meinem Land - wo es keine richtige Demokratie gibt - so etwas passiert, kann ich das verstehen. Aber hier, wo es die deutsche Verfassung gibt, überrascht mich das“, so die 25-Jährige.
Daniel Duda, der wie die meisten Teilnehmer den Integrationskurs freiwillig besucht, hat ein anderes Deutschlandbild. „Ich finde, Deutschland ist ein sehr tolerantes Land. Diskriminierung gibt es überall. Aber es ist schließlich nicht das Gesetz, das dich diskriminiert, sondern einzelne Menschen“, meint der gebürtige Pole. Der junge Mann verfolgt gradlinig sein Ziel. „Wenn man arbeiten will, muss man deutsch können. Ohne die Sprachprüfung hätte ich meinen Ausbildungsplatz nicht bekommen“, stellt er fest.
Oaikhena Glory aus Nigeria nimmt selbst schlechte Erfahrungen mit Humor. „Bei mir liegt es an der Hautfarbe. Im Bus bleiben manche Leute stehen, weil sie nicht neben mir sitzen wollen. Aber jetzt, wo ich deutsch kann, kann ich mich wenigstens wehren“, grinst die 21-jährige Wahl-Bottroperin. Die Vorurteile gegenüber Afrikanern sind von ganz eigener Natur. „Ich wollte heiraten und habe beim Standesamt meine Papiere vorgelegt. Da hieß es, ich muss alles noch mal beschaffen, weil grundsätzlich immer alles gefälscht sei, was aus Nigeria kommt“, erzählt die junge Frau.
Ob Beruf, Heirat oder Kinder - die Kursteilnehmer sind aus verschiedensten Gründen hoch motiviert. Die meisten sind gerade in ihren Zwanzigern oder Dreißigern und wollen sich eine Zukunft in Deutschland aufbauen. „Sarazzin darf nicht sagen, alle Muslime ziehen Deutschland runter. Denen, die hart arbeiten, tut das sehr weh. Ich habe dafür gearbeitet, dass ich hier bleiben darf. Hier gibt es Gerechtigkeit und eine Ausbildung für meine Kinder. Viele Deutsche sind nett, deshalb hoffe ich, dass nicht viele Leute so denken wie Sarazzin“, sagt Khadija Bousfia, die schon seit sechs Jahren in Deutschland lebt.
Die Integrationswilligen kommen aus der ganzen Welt. Von arabischen Staaten wie dem Libanon, der Türkei, dem Irak und Marokko reicht die Liste bis nach Thailand, China und Japan. Viele wollen sich eine selbstständige Existenz aufbauen. „Wir möchten unbedingt raus aus Hartz IV. Ich will nicht von Sozialhilfe leben“, betont Nazli Kaba völlig akzentfrei. Anfang des Jahres hat die Türkin den Grundstein für ihre Zukunft gelegt: Mit einem Bügelservice hat sich die 34-Jährige in Bottrop selbstständig gemacht.
Den Deutsch-Test zum Abschluss des Integrationskurses nach rund 600 Unterrichtsstunden haben alle in der Gruppe bestanden. Die erste Hürde ist genommen. „Wichtig ist, dass ihr jetzt weitermacht und nicht wieder alles vergesst“, gibt Kursleiterin Dorothee Beruda ihren Schülern noch mit auf den Weg.