Bottrop. An der Boye zwischen Bottrop und Gladbeck siedeln sich viele Tiere neu an, darunter der Edelkrebs. Manche werden bewusst hier ausgesetzt.
Prachtlibelle, Rotauge, Stichling, die Groppe – und jetzt sogar der Edelkrebs: Nein, das soll kein Signal an die Feinschmecker der Region sein, denn noch sind die neuen Aussiedlungsorte im Emscher- und Boye-Gebiet geheim und das edle Flusstier bekommt auch nicht aus kulinarischen Gründen eine „Wiedereingliederungshilfe“ durch die Emschergenossenschaft. Vielmehr ist es ein Zeichen dafür, dass so manche Signale im Bereich der früheren Kloaken auf Grün stehen. Eine gute Nachricht zum heutigen internationalen Tag der Artenvielfalt. Denn: Der Edelkrebs ist in Deutschland vom Aussterben bedroht.
Mario Sommerhäuser blickt im Grenzbereich zwischen Bottrop und Gladbeck ins Boyetal. Seit sieben Jahren ist der Emscher-Zufluss abwasserfrei. Von der brutalen Betonverschalung, in die das Flüsschen jahrzehntelang gepresst war, keine Spur mehr. „Was wir da über der Wasseroberfläche schwirren sehen, sind gebänderte Prachtlibellen“, sagt der Biologe, der seit vielen bei der Emschergenossenschaft den Bereich „Fluss und Landschaft“ leitet.
Viele Tier- und Pflanzenarten kehren von selbst zurück an die frühere Kloake - andere werden angesiedelt
Mit Köcherfliege, Schlammschnecke oder Bachflohkrebs sind die Libellen nur ein Bruchteil der gut 300 Arten allein von Klein- und Kleinsttierchen, die der Biologe wieder dem Emschersystem zuordnen kann. Fische, wie das bekannte „Flaggschiff“ Emschergroppe oder Wirbeltiere gar nicht eingerechnet. Im Dortmunder Bereich sei sogar der Biber zurückgekehrt. Der baue zwar Dämme, aber das sei bislang kein Problem, im Gegensatz zum Beispiel zu den Nutrias, die ganze Deiche durchlöchern können.
Soweit ist es aber im Bereich von Bottrop und Gladbeck (noch) nicht. Wer hier die Boye betrachtet, sagen wir einmal von der Einmündung des Wittringer Mühlenbachs kurz hinter der B224-Brücke in Richtung Gungstraße, wo das Ausflugslokal „mitten im Pott“ von Willi „Ente“ Lippens liegt, sieht ein leicht mäanderndes Flüsschen mit frisch wucherndem Grün. Natürlich ist die Idylle künstlich, zunächst vom Menschen wiedererschaffen.
An die alten Betonschalen des Ex-Abwasserkanals erinnert nichts. Die Brühe fließt parallel unter der Erde. „In die Boye wird im Gegensatz zur Emscher noch nicht einmal geklärtes Abwasser geleitet, oben ist alles Natur, alles Wasser hier kommt aus dem Quellbereich, den insgesamt zehn Zuflüssen wie Nattbach oder Kirchschemmsbach, ist Oberflächen- oder auch Grundwasser“, betont Mario Sommerhäuser. Trocken falle die Boye daher selbst in Dürresommern nicht.
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Nur das Niveau des naturnah gestalteten Laufs erinnert an das früher tiefergelegte Bett. Nein, eine breite Aue wird, kann es nie mehr geben. „An einigen Stellen wurde der Lauf etwas verbreitert, dort kann sich die Boye ausbreiten, fließt langsamer, was auch einigen Tierarten zugutekommt“, so Mario Sommerhäuser. Gerade segelt ein Fischreiher entlang der silbern schimmernden Weiden. „Fische, Frösche findet er hier ausreichend.“ Aber die riesige Auenlandschaft mit Überschwemmungsgebieten wie noch vor 150 Jahren werde es natürlich nie mehr geben.
Was den Biologen selbst nach so vielen Berufsjahren, davon allein gut 20 bei Emschergenossenschaft und Lippeverband, erstaunt: „Wie schnell das Leben hierhin zurückgekommen ist, die Artenvielfalt voranschreitet und vor allem sich auch die Wasserqualität verbessert.“ Das meiste, was in Ufernähe wächst, sei schon immer als Samen im Boden gewesen, gehöre hierhin, wie die Baumarten Erle oder Weide.
Der Boye-Abschnitt werde nun über zehn Jahre beobachtet, regelmäßig getestet und untersucht. „Wir wollen sehen, wie sich das System entwickelt, was zurückkehrt, aber auch, was nicht so gerne gesehen wird, also die sogenannten invasiven Arten.“ Dazu gehöre zum Beispiel Staudenknöterich oder die auffällige und auch für den Menschen gefährliche Herkulesstaude.
Was früher verbotenes und auch gefährliches Land war, präsentiert sich heute als Freizeitort. Entlang der Boye führt ein Rad- und Spazierweg, den selbst am normalen Dienstagmittag überraschend viele Leute nutzen. Die Nutzung sei immer so etwas wie ein Drahtseilakt. „Einerseits wollen wir diese Orte an den Flüssen und Bächen öffnen, andererseits die neu entstandenen Naturorte auch schützen“, sagt Marion Sommerhäuser. Hunde, vor allem in größerer Zahl, könnten da schon zum Problem werden.
Nicht angeleinte Hunde können für Pflanzen und Tiere immer wieder zum Problem werden
Nicht angeleint springen die Hunde in den Wald, in die Uferzonen, stören oder jagen andere Tiere oder gehen ins oder ans Wasser und hinterlassen dort etwas. Wie bestellt beobachten wir einen Radler, der gerade seinen Hund ableint. Der rennt ins Wasser und prompt... Keime und Bakterien im Wasser wolle man nicht. In der Nähe von Lernorten für Kinder, den „Blauen Klassenzimmern“ mit Wasserzugang, sei das besonders problematisch.
Andere, wie Andreas Giebe aus Brauck, der täglich auf dem neuen Weg zur Arbeit radelt, freut sich über die Wege am Wasser. „Das habt ihr echt toll gemacht hier!“ Giebe wohnt seit 1967 hier, hat noch an der alten Boye gespielt. „Gefährlich war‘s manchmal schon und gestunken hat‘s immer“, erinnert er sich. Gegen Hunde habe er nichts – eigentlich. Aber ins Wasser oder an die Wege machen, ohne Leine unterwegs: Mehr als einmal habe er blöde Situationen erlebt. „Wenn du was sagst, kriegste oft noch nen blöden Spruch von Haltern, muss ja eigentlich nicht sein.“
An die Artvielfalt denkt der Anwohner vielleicht nicht so wie der promovierte Biologe Sommerhäuser. Aber wenn er sagt „Toll,. was hier inzwischen alles wächst, herumschwirrt und schwimmt“, klingt das wie eine Bestätigung des Jahrhundertprojekts an Boye, Emscher und Nebenflüssen.
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Am Ende lenkt Mario Sommerhäuser doch noch einmal den Blick auf den Tag der Artenvielfalt: „Biodiversität ist weltweit auf dem absoluten Rückgang, Tier- und Pflanzenarten verschwinden rasend schnell, vor allem im Süßwasserbereich. Angesichts von Flächenversiegelung, Zersiedelung und anderen Eingriffen kein Wunder.“ Vielleicht sei dies auf längere Sicht sogar dramatischer als der Klimawandel.