Bottrop. Lange war der jüdische Friedhof in der Stadt nicht gewollt. Heute steht er auf der Denkmalliste. Ein Ort, der Geschichte(n) erzählt.

Eine eigene Synagoge hatte Bottrop nie. Bis zur Pogromnacht 1938 gab es lediglich das kleine Bethaus an der heutigen Tourneaustraße wenige Hundert Meter entfernt vom Rathaus. Aber vor 125 Jahren erhielt die kleine jüdische Gemeinschaft ihren eigenen Friedhof. 1899 wurde das Feld am Rande des Westfriedhofs angelegt, die erste Bestattung fand 1901 statt. Zuletzt gab es dort vor acht Jahren eine Beisetzung. Ein knappes Jahr später folgte der Gedenkstein für den verstorbenen Lehrer Horst Josef „Jo“ Tippelmann.

Der hatte viele Jahre am Heinrich-Heine-Gymnasium gelehrt, und so waren damals bei der Zeremonie sowohl Schüler als auch das Lehrerkollegium vertreten. Denn Jo Tippelmann hatte sich stets und vehement für Demokratie und Geschichtsbewusstsein eingesetzt, aber auch den Davidstern als Zeichen seiner Religion offen getragen. Ein Statement, das heute, nicht erst seit dem Terrorangriff mit Massakern und Geiselnahmen auf Israel und dem darauf folgenden Verteidigungskrieg, wieder gefährlich sein kann.

100 Jahre nach der Eröffnung kommt der jüdischen Friedhof auf Bottrops Denkmalliste

Lange war dieser Friedhof in der Stadt nicht gewollt. Da glich es zu Beginn der 1990er Jahre fast einer Kehrtwende, als das Gräberfeld, damals noch mit der schützenden Mauer umgeben, unter Denkmalschutz gestellt wurde. Angriffen ausgesetzt war der jüdische Friedhof längst nicht nur unter der Naziherrschaft. Bereits 1930 wurde der Ort geschändet. Taten, die sich auch nach dem letzten Weltkrieg, 1966 und 1970, wiederholten. Die meisten Gedenksteine wurden aber tatsächlich während der NS-Diktatur zerstört und schließlich beseitigt.

Gegen Kriegsende, 1944 und Anfang 1945, wurden noch einmal jüdische Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn dort beerdigt. Sie waren im Lager Gelsenberg in Gelsenkirchen-Horst, einem Außenlager von Buchenwald, umgekommen. Trotz der großen Zeitabstände ist der Bottroper jüdische Friedhof stets Beisetzungsort geblieben. Bis heute kümmern sich immer wieder Menschen um das kleine Feld am Westfriedhof.

Seit dem 27. Januar 2016 (dem Holocaust-Gedenktag) erinnert auf dem jüdischen Friedhof auch eine Tafel an die dort Bestatteten. Nicht alle Grabsteine sind noch vorhanden.
Seit dem 27. Januar 2016 (dem Holocaust-Gedenktag) erinnert auf dem jüdischen Friedhof auch eine Tafel an die dort Bestatteten. Nicht alle Grabsteine sind noch vorhanden. © Labus / FUNKE Foto Services | Winfried Labus / FUNKE Foto Services

Ein anderer Grabstein wurde dort 1999 aufgestellt. Er erinnert an Blanka Pollak, die in dem Gelsenkirchener Lager starb. Namentlich bekannt ist auch der kleine Nikolaus Berkowitsch, der in dem Lager zur Welt kam und nur 35 Tage lebte. Auch er hat auf diesem Friedhof seine letzten Ruhe gefunden.

Als die Stadt in Abstimmung mit der zuständigen Kultusgemeinde Gelsenkirchen und deren damaligen Vorsitzenden Judith Neuwald-Tasbach den Friedhof instand setzte, kam auch Rosa Pollak mit ihrem Sohn aus Antwerpen nach Bottrop. Sie wollte noch einmal das Grab ihrer Freundin Blanka (nur eine zufällige Namensgleichheit) besuchen.

Aber die Dame, die mit ihr am Grab steht, stammt aus einer Familie, die das andere, mutige Deutschland unter der Nazi-Diktatur repräsentiert: Ortrud Kathol-Bertram. Sie ist die Tochter von Dr. Rudolf Bertram, jenes Arztes, dem Rosa Pollak 1944 ihr Leben verdankt.

Er war damals Chefarzt des St. Josef-Hospitals in Horst und behandelte einige der schwerverletzten ungarischen Jüdinnen unter eigener Lebensgefahr im katholischen Krankenhaus und sorgte dafür, dass sie nach weiteren Luftangriffen von Horst ins Bottroper Marienhospital verlegt wurden - auch Rosa Pollak. Dafür erhielt Bertram posthum die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ und einen Platz in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel.

Die Gründung des Bottroper jüdischen Friedhofs fiel 1899 in eine Zeit, in der Deutsche jüdischen Glaubens und ohne zu konvertieren erstmals gleichberechtigt waren und volle Bürgerrechte besaßen. Die hatten Jüdinnen und Juden in allen deutschen Staaten uneingeschränkt und verfassungsmäßig garantiert erst seit der Gründung des zweiten Kaiserreichs 1871 inne – für gerade einmal 62 Jahre. Und dann wieder seit 1945. Eigentlich Fakten, die jeder deutsche Staatsbürger, jede Staatsbürgerin, und solche, die es werden wollen, kennen sollten.