Bottrop. Hildegard Tüllmann (75) engagiert sie seit 36 Jahren für das Tierheim. Eine Herzensaufgabe mit Schicksalen von Hunden, Katzen und Kleintieren.

Eine Handvoll kleiner Hunde wuselt durchs Büro, einer liegt noch verschreckt unter dem Schreibtisch, gerade erst angekommen im Bottroper Tierheim, weil sein Frauchen ins Altenheim umziehen musste.

Einer gehört Hildegard Tüllmann, die anderen sind zu alt, um sie im Zwinger leben zu lassen, also dürfen sie das Büro belegen. „Da muss man einfach ein großes Herz haben“, sagt die 75-Jährige, die seit 36 Jahren das Gesicht und das Herz des Bottroper Tierheims ist.

Ihr Leben lang sei sie schon tierlieb gewesen. In den 80er-Jahren brachte sie regelmäßig Futter ins Tierheim, das damals noch eine Auffangstation in den Händen der Stadt war. Die Tiere blieben eine Woche lang in Bottrop, bevor sie ins Gelsenkirchener Tierheim gebracht wurden. Hildegard Tüllmann zeigt Fotos von damals: Die Gebäude sind marode, die Wände feucht und verschimmelt. „Es war völlig vergammelt“, sagt Hildegard Tüllmann.

Bottroper Tierheim-Leiterin: „Anfangs war es hart“

Als sie das Elend gesehen habe, sei ihr „Herz hiergeblieben“. Sie wollte den Tieren eine bessere Unterkunft und Zukunft bieten. „Zähe Verhandlungen“ folgten, wie sie sagt – bis sie schließlich 1989 die Genehmigung für ein eigenes Tierheim bekam, geführt nicht durch die Stadt, sondern durch den Tierfreunde e.V.

Was mit 17 Hunden, drei Katzen und einer Halbtagskraft begann, ist heute ein vollständiges Tierheim, in dem rund 200 Tiere leben. Nach und nach hat der Verein die Zwinger renoviert, hat eine Krankenstation für Hunde eingerichtet, ein Kleintier- und ein Katzenhaus. Fast alles mit Spendengeldern finanziert.

Von der Stadt Bottrop bekommt das Tierheim heute einen Zuschuss von 30.000 Euro jährlich. „Anfangs war das hart, wir haben mit nichts angefangen“, erinnert sich Hildegard Tüllmann. „Ich hatte nicht gedacht, dass so viele uns unterstützen. Aber wir haben es geschafft.“

Rund 200 Tiere leben im Bottroper Tierheim.
Rund 200 Tiere leben im Bottroper Tierheim. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Die Bottroperin, die damals noch im öffentlichen Dienst tätig war, verbrachte jeden Feierabend, jedes Wochenende im Tierheim. Nach ihrer Pensionierung wurde das Tierheim zum Vollzeit-Job. Urlaub? Mache sie nicht. Nur ab und an einen freien Tag.

Hund lebendig begraben – bewegende Schicksale im Bottroper Tierheim

In den Jahrzehnten im Tierheim hat sie viele Schicksale erlebt, die sie bewegt haben, auch solche, die sie zweifeln lassen an den Menschen.

Wenn jemand zum Beispiel seinen Hund vor dem Tierheim anbindet und einfach weggeht, sein Tier zurücklässt. „Ich bin enttäuscht, dass es sowas gibt“, sagt Hildegard Tüllmann. „Da verliert man den Glauben an die Menschen.“

Zwei Fälle sind ihr besonders in Erinnerung geblieben. Einen Hund bekam das Tierheim vom Veterinäramt gebracht, in Decken getragen, weil das Tier nicht mehr selbstständig laufen konnte. Sein Besitzer hatte es eingesperrt, keinen Auslauf geboten. „Man konnte gar nicht erkennen, wo vorne und hinten ist“, erinnert sie sich. Er hatte im Urin und Kot gelegen.

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Auch das Schicksal einer Dackeldame – das Tierheim taufte sie auf den Namen Heidi – ist der 75-Jährigen besonders in Erinnerung geblieben. Eine Frau hatte beim Spaziergang im Wald bemerkt, dass sich an einer Stelle die Erde bewegte, ein Stück Plastik hervorschaute. Als sie genauer hinsah und etwas buddelte, fand sie die Hündin. Der Besitzer hatte sie lebendig begraben.

Völlig verstört kam das Tier im Tierheim an. Doch es gibt auch die guten Nachrichten: Schon nach wenigen Tagen sei sie zutraulich geworden, das Tierheim konnte sie trotz ihres hohen Alters noch vermitteln.

„Man darf sich ein Tier nicht nur wegen Schönheit oder Gefallen aussuchen“

In sozialen Netzwerken liest man gelegentlich, dass es besonders schwierig sei, im Bottroper Tierheim ein Tier vermittelt zu bekommen, dass die Leiterin sehr streng sei. Hildegard Tüllmann lächelt, das hat sie schon mitbekommen. Sie appelliert an das Verständnis der Leute, dass fast alle Tiere schon mindestens einen großen Schicksalsschlag hinter sich haben.

Hildegard Tüllmann über Tiere: „Wenn man sie aufgepäppelt hat, wird einem das Herz rausgerissen, wenn sie gehen.“
Hildegard Tüllmann über Tiere: „Wenn man sie aufgepäppelt hat, wird einem das Herz rausgerissen, wenn sie gehen.“ © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Sie vermittle deshalb in der Regel keinen Hund an Vollzeit-Berufstätige, keine jungen Katzen alleine, sondern immer als Paar. „Man darf ein Tier nicht nur wegen Schönheit oder Gefallen aussuchen, es muss auch zu einem passen.“ Sie selbst habe sich zum Beispiel nie einen sportlichen Hund ausgesucht, es waren immer die Hunde-Senioren, die ihr besonders am Herzen lagen.

Immer wieder kommen auch schwierige Hunde ins Tierheim. Listenhunde, für deren Haltung man strenge Voraussetzungen erfüllen muss, die eine strenge Hand brauchen. „Wir haben zwei Trainer, die die Hunde gut beurteilen und mit ihnen trainieren.“

Bottroper Tierheim-Leiterin: „So lange mich keiner rausjagt, bleibe ich hier“

Kürzlich hat sie zwei Kangals in gute Hände vermittelt, eine Seltenheit. Denn die schweren großen Tiere gelten als sehr eigensinnig, haben einen starken Beschützerinstinkt. „Da kommen uns die Tränen, wenn wir solche Leute finden.“

Ja, es falle ihr durchaus schwer, die Tiere ziehen zu lassen. „Wenn man sie aufgepäppelt hat, wird einem das Herz rausgerissen, wenn sie gehen“, sagt Hildegard Tüllmann.

Umso schöner aber sei es, wenn sie ein gutes Zuhause finden, wie die beiden Kangals. Und oft seien es besondere Menschen, zu denen sie auch weiter den Kontakt hält. „Wir freuen uns, wenn wir wissen: Dem Hund geht es gut.“

Das Bottroper Tierheim ohne Hildegard Tüllmann, gibt es das überhaupt? „Wir haben ein gutes Team hier, viele sind schon seit über 20 Jahren dabei.“ Darunter seien auch jüngere, für die die Tiere immer im Vordergrund stehen. Aber erstmal macht die 75-Jährige weiter. „So lange mich keiner rausjagt, bleibe ich hier, so lange ich kann.“