Bottrop. Ehrenamt: Den Bottropern ist es zu verdanken, dass die Schöffenwahl funktioniert hat. Parteien und Organisationen melden fast keine Bewerber.
Die Schöffenwahl in Bottrop ist seit ein paar Wochen offiziell beendet. 80 neue Schöffen sind für die Amtszeit von 2024 bis 2028 gefunden worden. Die politischen Parteien und die Organisationen der Stadt haben sich jedoch nicht mit Ruhm bekleckert. Das belegen die endgültigen Meldezahlen.
Nur dank des hohen Engagements einer Gruppe kann Bottrop die Stellen überhaupt besetzen. Eben jene Gruppe, in Beamtendeutsch „Freie Bewerber“ genannt, bildet das breite Rückgrat.
238 Meldungen sind von Bürgerinnen und Bürgern im städtischen Fachbereich Recht und Ordnung zum Stichtag (12. April) eingegangen.
Fachbereichsleiter Jan-Philipp Kruppa berichtet, dass viele sogar ein Motivationsschreiben, das für eine Bewerbung nicht nötig ist, formuliert hätten. „Sie haben geschrieben, warum sie sich engagieren wollen, was sie beruflich bisher getan haben und was sie am Rechtssystem interessiert.“
Fachbereich: „Ein ganz starkes Signal der Bürgerinnen und Bürger“
Verwaltungsmitarbeiter Carsten Moritz hat sich um die Formalitäten der Schöffenwahl von A bis Z gekümmert. Alle fünf Jahre werden Schöffinnen und Schöffen gewählt. Für Moritz ist es die dritte Bottroper Schöffenwahl.
Über die aktuellen Zahlen sagt er: „Ein ganz starkes Signal der Bürgerinnen und Bürger. Es hat sich gezeigt, dass der Wunsch vorhanden ist, sich ehrenamtlich zu engagieren und etwas für die Gesellschaft zu leisten.“
Moritz hat sich im Vorfeld der Wahl „die Finger blutig geschrieben“. Mehrere Papierseiten umfasst seine Kontaktliste. Darauf zu finden sind Kleingartenvereine, Schützenvereine, Sportvereine, Brezelgesellschaft und noch viele mehr. Alles, was die Stadtgesellschaft repräsentiert. Außerdem große Arbeitgeber wie das Marienhospital, Knappschaftskrankenhaus, Ele, der Movie Park oder Brabus.
80 Schöffinnen und Schöffen wirken am Amtsgericht und Essener Landgericht
Der Wahlausschuss hat letztlich aus der Vorschlagsliste einen Querschnitt aus der Gesellschaft ausgewählt: Die 80 Ausgewählten werden nun aufgeteilt in 36 Hauptschöffen für das Essener Landgericht und in 22 Haupt- sowie 22 Ersatzschöffen für das Bottroper Amtsgericht.
Schaut man genau hin, geben alle politischen Parteien kein gutes Bild ab. Insgesamt 27 Meldungen gingen ein. Die meisten lieferte die SPD (16). DKP und Linke keine. Die AfD hätte, so Moritz, schon im Vorfeld bekannt gegeben, dass sie keine Meldungen einreichen wird.
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Dramatisch wird es vor allem, wenn man sieht, wie viele Meldungen die Parteien rechnerisch hätten einreichen sollen. Als Rechnungsgrundlage dienten für die Verwaltung die Ergebnisse der jüngsten Kommunalwahl von 2020 und somit die prozentuale Verteilung im Rat.
Freie Bewerber bügeln das Defizit bei den Parteimeldungen aus
Demzufolge hätte die SPD 52 Meldungen nennen sollen. Die CDU kommt auf vier Meldungen, gehofft hatte man im Fachbereich auf 31. Anstatt 17 meldeten die Grünen nur drei Kandidaten.
Carsten Moritz: „Hätten wir nicht so viele freie Bewerber, hätten wir ein Problem gehabt. Wir sind froh und dankbar, denn die freien Bewerber haben uns den Kopf aus der Schlinge gezogen.“ Durch das große Engagement der Bottroper Bürger kann das Defizit der Parteien ausgeglichen werden.
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Mehrfach habe Moritz die Parteien bezüglich der Schöffenwahl angeschrieben und um Kommunikation und Zusammenarbeit geworben. Moritz berichtet, dass sich nur zwei Parteien überhaupt bei ihm für Nachfragen zurückgemeldet hätten.
Bei der vergangenen Schöffenwahl 2018 sei die Verteilung umgekehrt gewesen, so Jan-Philipp Kruppa. Damals gab es wenige freie Bewerber und mehr Meldungen von Parteien. Das Blatt hat sich gewendet.
Fachbereich: Muss die Gesamtverteilung für 2028 überdacht werden?
Aber was ist nun die Folge für die Wahl 2028? In der Nachbetrachtung für 2023 will man im Fachbereich über die Gesamtverteilung nachdenken.
Eine Möglichkeit wäre eine Neuberechnung: von vornherein mehr Meldungen aufseiten der freien Bewerber und etwas weniger bei den Parteien. Die Entscheidung darüber fällt jedoch die Politik.
In der Neuberechnung liegt jedoch eine Schwierigkeit. „Die Gruppe an freien Bewerbern ist schwer einzuschätzen“, sagt Kruppa. Finden sich in fünf Jahren wieder so viele Freiwillige, die sich für das Ehrenamt begeistern?
Wahl: Mindestens 80 Bewerberinnen und Bewerber werden nicht berücksichtigt
Nicht besonders hilfreich ist hierbei das Gerichtsverfassungsgesetz, die Grundlage für die Schöffenwahl. Carsten Moritz hält sich strikt daran. Er musste diesmal 80 Schöffen finden, aber laut Gesetz auch mindestens doppelt so viele Bewerber, nämlich 160, suchen. Das heißt: Mindestens 80 Bewerberinnen und Bewerber gehen in jedem Fall leer aus.
Es kann also sein, dass der eine oder die andere aus Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung im Laufe der nächsten Jahre das Interesse am Schöffenamt verliert und sich nicht mehr meldet.
„Und wenn dann die Parteien nicht genügend Kandidaten benennen können, dann kann es sein, dass wir nicht einmal die Mindestanzahl zustande bekommen“, sagt Jan-Philipp Kruppa und hofft zugleich, dass dieses Prozedere nicht eintritt.
Wahl 2028: Das Höchstalter könnte zum Problem werden
Erneut könnte außerdem das Gerichtsverfassungsgesetz die Suche erschweren. Schöffen müssen bei ihrem Amtsantritt mindestens 25 Jahre alt und dürfen nicht älter als 69 Jahre sein. Blickt man auf die Kandidatinnen und Kandidaten, bekommt so manche Partei bei der nächsten Wahl ein Problem, weil einige der gewählten Männer und Frauen das Höchstalter dann überschritten hätten und nicht mehr in Frage kommen.
Aber nicht nur die Parteien sollten das Rückgrat der Schöffenwahl bilden. Auch Organisationen in Bottrop haben bis auf drei Ausnahmen keine Meldungen beim Fachbereich Recht und Ordnung eingereicht (siehe Grafik). 30 waren gewünscht. Die Zahl sei laut Moritz aus der Historie der zurückliegenden Schöffenwahlen erwachsen.
Mit Blick auf die Schöffenwahl 2028 sagt er: „Wir werden auch weiterhin bei den Organisationen werben und hoffen, dass sie dies an ihre Mitglieder weitergeben.“